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net ihn als „Kultautor“, worunter er „einen Dichter“ verstehe, „dessen Wirkmäch-
tigkeit in Werk und Leben ihren Ausdruck findet, der also doppelte Verehrung
erfährt – einmal für das, was er schreibt, und dann noch dafür, wie er lebt.“376
Im Zuge der Berichterstattung über den Wettbewerb musste auch Kraus Federn
lassen, in seiner Funktion als Kritiker erntete er mit seinem Auftritt in Klagen-
furt selbst keine guten Kritiken. Die „Presse“ urteilte: „Sehr gefährdet dagegen
sind die Juroren, großteils mächtige Literatur-Potentaten mit Pfründen, die man
eben auch verlieren kann. Die stehen sichtlich unter großem psychischen Druck,
dekuvrieren sich bisweilen aufs Allerpeinlichste und liefern – wie etwa eine hei-
mische TV-Literaturgröße – Urteile ab, die jeder Beschreibung spotten. Auch
ein größeres Publikum fände das komisch.“377
Wenige Tage nach dem Wettbewerb erhielt Kraus eine Postkarte mit dem
Wiener Literaturkritiker Edwin Hartl, als fingierten Absender: „[W]ie lange
wollen Sie noch den Anspruch, der österreichische Literaturpapst zu sein, erhe-
ben? […] Haben Sie noch nie bedacht, wie vielen Begabungen Sie durch Ihre
dümmliche Schwafelei geschadet haben? Dummheit ist hierfür keine ausrei-
chende Ausrede. Dazu kommt Ihre Feigheit, Unaufrichtigkeit und Arschkrie-
cherei. […] In Klagenfurt diesmal haben Sie sich ja glänzend dekcouvriert! So
den Namen Kraus schänden!“378 Kraus war geschockt, erfuhr aber letztendlich,
dass die „pointierte Beschimpfungskarte“ nicht von Hartl, sondern „wohl aus
der ‚Profil‘-Ecke“ stammte, denn „ein Insider hat sie geschrieben“.379
Kraus beschloss wenige Zeit später, diesem medialen Spektakel zu entsagen
und nicht mehr als Juror aufzutreten, was vor allem auch an der harschen Kritik
Reich-Ranickis gelegen haben dürfte, wie er Humbert Fink mitteilt: „Wenn ich
trotzdem nächstes Mal nicht mitmachen möchte, so deshalb, weil ich mich der
überaus negativen Bewertung meiner Tätigkeit durch den Leiter der Jury […]
gleichsam anschließe. Die öffentliche Kritik Reich-Ranickis wurde durch man-
che private Worte seinerseits ergänzt, sodaß ich höchst überrascht war, von ihm
für den kommenden Wettbewerb wieder eingeladen zu werden.“380
Die persönliche Kränkung durch Reich-Ranicki teilte er diesem auch mit:
„Ich erinnere mich genau an Ihre Klassifizierung meines Auftretens […]. Ich
376 Michael Köhlmeier: Rede zur Eröffnung des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs, S. 2. URL:
http://archiv.bachmannpreis.orf.at/bachmannpreis.eu/presse/tddl2013/koehlmeier_rede.pdf
[zuletzt aufgerufen am 15.1.2020].
377 f.m.: TV-Kritik. In: Die Presse, 30. Juni/1. Juli 1984.
378 Edwin Hartl [fingiert] an Kraus, 2. Juli 1984, NL WK; Vgl. Michael Hansel: „Ihre Feigheit,
Unaufrichtigkeit und Arschkriecherei“. Geschmäht: Wolfgang Kraus. In: Marcel Atze, Volker
Kaukoreit (Hg.): Erledigungen. Pamphlete, Polemiken und Proteste. Wien: Praesens-Verl. 2014
(= Sichtungen 14/15), S. 290–293, hier S. 291.
379 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 19. August 1984, NL WK.
380 Ders. an Humbert Fink, 31. August 1984, ÖGL-Archiv.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Literatur-Preise 279
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437