Seite - 303 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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und Autoren vermehrte oder ob seine kulturpolitische Praxis mehr dazu diente,
die österreichische Nation zu repräsentieren.
Bourdieu hat konstatiert, dass die Position des Intellektuellen, sobald er das
Feld der Produktion besetzt, den Herrschenden und Bürgerlichen gegenüber zu
einem Kampf an einer zweifachen Front führt. War dies auch bei Kraus’ Positi-
on innerhalb des politischen Feldes der Fall? Er war sich über seine Rolle inner-
halb bzw. zwischen Kulturbürokratie und Literatur bewusst, wenn er sich selbst
„als eine Art Anwalt“ beschreibt, der „verschiedene Projekte und Geschäfte lau-
fen hat und dazu noch Bücher und Artikel publiziert“: „Eine Art Kulturanwalt
statt Rechtsanwalt. Alles ist unsicher und zwar sowohl aus Gründen der Projek-
te selber, als auch durch politische, wirtschaftliche, persönliche Konstellatio-
nen.“26
Exkurs: Kraus’ Kulturbegriff
Kraus vertrat zwar einen relativ offenen, dennoch aber elitären Begriff von Kul-
tur. Dies lässt sich innerhalb seines essayistischen und publizistischen Œuvres
verfolgen, denn Kraus behandelte als Kulturkritiker immer wieder die Frage
staatlich-demokratischer Kulturpolitik im Spannungsfeld und Unterschied zu
den totalitären Systemen und reflektierte über diesen für ihn zentralen Themen-
komplex. Aufschlussreich ist in diesem Kontext sein Essay Kultur und Macht
(1975), in dem er versuchte, mittels eines komparatistischen Ansatzes, „Kultur“
und ihre Instrumentalisierung im totalitären System der demokratischen Praxis
gegenüberzustellen. Er hält fest, dass im Nationalsozialismus und im Kommu-
nismus stalinistischer Prägung die Kultur zur Propaganda degradiert werde:
Die Haltung der westlichen Demokratien, die Kultur und Kunst zwar nicht propa-
gandistisch einsetzen, deren staatliche Stellen und wichtige Institutionen sich aber
um Kunst und Kultur meist nur mit Alibigesten kümmern, stellt das andere, frei-
lich weitaus sympathischere Extrem dar. Immerhin verbleibt hier im kulturellen
Bereich ein Freiraum, so resonanzlos und dürftig er sein mag. Auch dieses Extrem
ist gefährlich, weil die Resonanzlosigkeit nach Resonanz verlangt, und Resonanz
wird von den Diktaturen im positiven und negativen Sinn reichlich geboten.27
Im „sehr persönliche[n] Nachwort“ bietet Kraus dann eine Alternative zu allen
staatlichen Einflüssen auf Kultur an, – seien diese nun totalitär oder demokra-
tisch –, die er mit dem Christentum identifiziert: „Es mag sein, daß die Evange-
26 Wolfgang Kraus. Tagebuch, 21. Jänner 1975, NL WK.
27 Ders.: Kultur und Macht. Die Verwandlung der Wünsche. München: dtv 1978, S. 54.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Elemente einer Kraus’schen Kulturpolitik 303
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437