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gen.“31 Dieses Postulat erscheint im Licht des Kalten Kriegs, denn dieser warf
seinen Schatten über die globale künstlerische Produktion und Kunst erfuhr
besondere politische Bedeutung (vgl. dazu auch Kapitel 6).32 Kraus argumen-
tiert, dass der Osten mit seiner kontrollierten und reglementierten offiziellen
Kulturpolitik, dem Westen den Spiegel vorhalte. Im Osten entstünden als Oppo-
sition im Untergrund bedeutende künstlerische Werke, die ihre kulturellen Wur-
zeln im Westen verorten, während die künstlerische Produktion des Westens
dieses genuine kulturelle Erbe weitgehend ignoriere. Kraus führt dazu weiter
aus, dass die Demokratien aus ihrer eigenen Historie sowie aus der „Lage in den
kommunistischen Staaten“ zu lernen hätten, dass „mit Toleranz und dem kurz-
sichtigen Beachten der Wahlinteressen allein nur der kulturelle Niedergang
erreicht wird“, denn auch „die westliche Kultur besteht nicht bloß aus Zivilisa-
tion, Technik, Komfort, Konsum und Hedonismus“, und spricht sich für eine
„Re-Christianisierung“ im kulturellen Bereich aus.33
Kraus wollte die westliche „Kultur“ nicht als Produkt „irgendwelcher Narren
und Destrukteure“ sehen, sondern das „Suchen nach Inhalten, Werten und Sinn“
stand für ihn im Vordergrund. Dies ist für ihn eng verbunden mit der „Verant-
wortung der kreativen kulturellen Persönlichkeiten“, aber auch der Bevölkerung
selbst, weshalb aus seiner Perspektive die „kulturellen Kräfte“ auf den Staat nicht
verzichten könnten.34 Insgesamt stellte der Kulturpolitiker Kraus dem Staat und
seinem Umgang mit Kultur kein gutes Zeugnis aus, obwohl er auf die paradoxe
Situation hinwies, dass Kunst, die mehr sein wolle als Kommerz innerhalb des
freien Markts ohne staatliche kulturpolitische Instrumente nicht bestehen könne:
Alle Einflußnahme, alle Verwaltung, alle Inanspruchnahme der Kultur durch den
Staat sei Pervertierung der richtigen Positionen. Ob es sich um zwischenstaatliche
Kulturabkommen oder Hochschulpolitik, ob es sich um steuernde Maßnahmen
mit Hilfe von Förderungen des Staates handelt – sie seien, so möchte ich gerne
erklären, reine Anmaßung. Das Übertragen von Amtshandlungen der Bürokratie
auf Wirkungen, Schaffensprozesse und Möglichkeiten der Kultur sei nichts ande-
res als ein planmäßiger oder ungewollter Erstickungsvorgang, dem nicht hart genug
entgegengetreten werden könne. Dies alles würde ich mit aller Energie vertreten
– wäre nicht die überwältigende demokratische Mehrheit einer solchen Haltung
erschreckend in den Rücken gefallen.35
31 Ebd.
32 Nicholas J. Cull: Reading, viewing, and tuning in to the Cold War. In: Melvyn P. Leffler, Odd
Arne Westad (Hg.): The Cambridge History of the Cold War. Bd. 2: Crises and Détente. Cam-
bridge [u. a.]: Cambridge University Press 2010, S. 438–460, hier S. 444.
33 Kraus: Kultur und Staat. In: Literatur und Kritik 14 (1979), H. 138, S. 457.
34 Ebd., S. 458.
35 Ebd.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Elemente einer Kraus’schen Kulturpolitik 305
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437