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Literatur“. Den ORF-Generalintendanten Gerd Bacher kannte Kraus noch von
dessen Zeit als Verlagsleiter des Molden-Verlags, wo Kraus gemeinsam mit Hans
Weigel und Elisabeth Stengel die Reihe „Glanz und Elend der Meister“ heraus-
geben hatte.80 Darüber hinaus natürlich auch in seiner Rolle als Moderator der
Fernsehsendung „Jour fixe“. In einer internen Mitteilung intervenierte Bacher
zugunsten der Berichterstattung über die ÖGL, da zunächst nur eine fünfzehn-
minütige Gesprächsrunde mit Kraus geplant war, die Bacher als „ungenügend“
empfand: „Auch interessiert mich der Hinweis auf die fehlenden Geldmittel bzw.
die fehlende Sendezeit nicht. […] Ich bitte, mich daher innerhalb von vierzehn
Tagen präzise über unsere Pläne hinsichtlich des Jubiläums einer der bedeu-
tendsten Kulturinstitutionen des Landes zu informieren.“81
Einladungspolitiken, die außerhalb seiner Zuständigkeit erfolgten, bereiteten
Kraus wenig Freude. Als Anfang September 1977 der Schriftsteller Wolf Bier-
mann, der im November 1976 aus der DDR ausgebürgert worden war, zum
SPÖ-Jugendfestival in Wien eingeladen wurde, gab es nicht nur parlamentari-
sche Anfragen und Richard Nimmerrichters („Staberl“) Polemik in der „Kronen
Zeitung“,82 sondern auch Kraus zeigte sich von der Einladung, die von Unter-
richtsminister Fred Sinowatz ausgegangen war, wenig begeistert: „Sinowatz lädt
den ausgebürgerten Biermann nach Wien zum Wohnen und Arbeiten ein. Mit
welchem Emigranten aus Österreich hat man das getan? Ich kenne Biermann
und bin froh, ihn nicht im Land zu haben. Ein reiner Kommunist, durch seine
Individualität gefährlicher als alle Parteikonventionalisten.“83
Kraus’ kulturpolitische Expertise dürfte ihn zunehmend für die österreichische
Kulturpolitik unerlässlich gemacht haben, war er doch in zahlreichen Gremien
vertreten, wie z. B. der von Bruno Kreisky angeregten Österreichischen Natio-
nalstiftung, deren Vorbereitung vorbei an anderen österreichischen Institutio-
nen vollzogen wurde.84 Das Bundeskanzleramt verlautbarte zu dieser Stiftung,
dass es Kreiskys Idee sei, „ein Forum ähnlich den deutschen Goethe-Instituten
zu schaffen“ und „gesprächsweise bei verschiedenen Vertretern der heimischen
80 Ders.: Kulturelle Wirkungen realen Handelns. In: Österreichischer Rundfunk (Hg.): Gerd
Bacher zu Ehren, S. 117.
81 Gerd Bacher an Helmut Zilk, Friedrich Hansen-Löve u. Dolf Lindner, 2.
Februar 1971, NL WK.
82 Vgl. Polt-Heinzl: Kulturskandale der 1970er Jahre. In: Dies. (Hg.): Staatsoperetten, S. 20.
83 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 18. November 1976, NL WK.
84 Vgl. Roland Innerhofer: Die Grazer Autorenversammlung (1973–1983). Zur Organisation einer
„Avantgarde“. Wien, Köln, Graz: Böhlau 1985, S. 111; Evelyn Adunka: Friedrich Heer (1916–
1983). Eine intellektuelle Biographie. Innsbruck, Wien: Tyrolia 1995, S. 575 ff. Friedrich Heer
setzte sich ab zirka 1964 für die Gründung einer Österreichischen Nationalstiftung, strukturell
vergleichbar mit der Schweizer „Pro Helvetia“, ein.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Jenseits der Parteipolitik? 315
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437