Seite - 317 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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wurde jahrelang in meinem Büro vorbereitet. […] Aber es ist dann halt 1970
alles zu Bruch gegangen. Ich habe mit Bruno Kreisky bei unseren obligatorischen
Gesprächen zwischen Opposition und Regierung wiederholt dieses Thema behan-
delt; aber ich bin mit ihm zuletzt nicht einig geworden.“90
Den Selbstorganisationsversuchen der österreichischen Autorinnen und Auto-
ren stand Kraus grundsätzlich freundlich, jedoch zunehmend kritisch gegen-
über. Dies lässt sich am vom 6. bis 8. März 1981 stattfindenden „Ersten öster-
reichische Schriftstellerkongress“ im Wiener Rathaus91 zeigen, der von politischer
Seite mit Bundeskanzler Bruno Kreisky, Vizekanzler Fred Sinowatz, Bürgermeis-
ter Leopold Gratz, Kulturstadtrat Helmut Zilk und ORF-Generalintendant Gerd
Bacher besetzt war, die den Kongress eröffneten. Im Zuge des Kongresses sollte
öffentlichkeitswirksam ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass die Lite-
ratur auf sozioökonomischer Ebene der Förderung bedürfe und den Autorinnen
und Autoren die Möglichkeit geboten werden sollte, „ihre Anliegen konkret zu
formulieren“.92 Der Katalog an Forderungen umfasste u. a. Bibliothekstantiemen
(„Bibliotheksgroschen“), das „Ende der honorarfreien Textverwertung in Schul-
büchern, die Teilhabe an der staatlichen Alters- und Krankenversicherung, höhe-
re Honorare und vieles mehr“.93 Die 600 teilnehmenden Autorinnen und Auto-
ren beschlossen, sich „eine starke Organisation und Verfassung zu geben“.94
Während Milo Dor als Mitbegründer der IG-Autoren und als wesentlich Betei-
ligter an den Vorbereitungen des Kongresses nach Günther Nennings Votum
für einen Gewerkschaftsbeitritt „nicht mehr gesehen“ wurde, der Schriftsteller
Franz Innerhofer „erfolglos gegen die Kongreßbürokratie“ protestierte und Micha-
el Scharang die „Kulturbürokratie ‚den letzten Dreck‘“95 schimpfte, war auch
Kraus anwesend, der das Verhalten einiger Akteure kritisierte. Dabei dürfte ihm
vor allem die Rolle Franz Schuhs, der den Arbeitskreis „Kulturpolitik und Lite-
raturförderung“ leitete, missfallen haben.
Auch Scharang, der sich in einem Interview dafür ausgesprochen hatte, einen
Fonds für Schriftstellerinnen und Schriftsteller anzulegen, „in den all das hin-
ein fließt, was bis jetzt ziemlich uneffektiv an Subventionen vergeben wurde, in
90 Die Presse, 19. Februar 1999, S. 3. Zit. n. Kriechbaumer: Die Ära Josef Klaus. Bd. 2, S. 273.
91 Vgl. Gerhard Ruiss (Hg.) Die Freiheit, zu sehen, wo man bleibt. Erster österreichischer Schrift-
stellerkongreß 6. bis 8.
März 1981. Wien 1982; ders.: Der „Erste Österreichische Schriftsteller-
kongress“ 1981. In: Volker Kaukoreit, Kristina Pfoser (Hg.): Die österreichische Literatur seit
1945. Eine Annäherung in Bildern. Stuttgart: Reclam 2000, S. 231 f.
92 Peter Landerl: Der Kampf um die Literatur. Literarisches Leben in Österreich seit 1980. Inns-
bruck, Wien, Bozen: Studien-Verlag 2005, S. 152.
93 Ebd.
94 Ebd.
95 Ulrich Greiner: Freiheit und Rente. In: Die Zeit, 13. März 1981.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Jenseits der Parteipolitik? 317
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437