Seite - 318 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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einen Fonds, der von den Schriftstellern selber verwaltet wird, sodaß sie dann
je nach Prioritäten diese Mittel einsetzen, um sowohl materiell wie auch ideell
eine literarische Öffentlichkeit in diesem Land zu erkämpfen“96, dürfte sich mit
solchen Aussagen nicht auf Kraus’ literaturpolitischer Linie befunden haben.
Für Kraus war der Kongress „jene peinliche Politgroteske, die zu erwarten war“97,
die Vorschläge des Arbeitskreises „Soziale und rechtliche Fragen“, der von Milo
Dor und dem Juristen Franz-Leo Popp geleitet wurde, wo es aus Kraus’ Perspek-
tive „sehr vernünftig und sinnvoll“98 zugegangen sei, fasst er wie folgt zusam-
men: „Nach dem offiziellen Teil unqualifizierbare Auftritte, teils rührend […],
teils pathologisch […]. Am Nachmittag hatte Frau [Marie-Thérèse] Kerschbau-
mer vom Podium ein Wasserglas auf einen Sprechenden [Kurt Dieman] gewor-
fen, [Erich] Fried ihm das Mikrofon zugehalten.99
Auch am internationalen diplomatischen Parkett mischte Kraus mit, nahm er
doch am Kulturforum der „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa“ (KSZE) 1985 teil, das vom 15. bis 25. Oktober in Budapest stattfand.
Das Kulturforum gab zahlreichen kulturell führenden Persönlichkeiten aus West
und Ost Gelegenheit zu Kontakten, Begegnungen und systemübergreifendem
Meinungsaustausch, wobei Delegationen aus 35 unterschiedlichen Staaten über
250 Anträge bezüglich des Dialogs zwischen Ost und West berieten, ohne jedoch
eine gemeinsame Abschlusserklärung zustande zu bringen.100 In Budapest hielt
Kraus, neben anderen Vortragenden, darunter Barbara Frischmuth, Friedrich
Achleitner, Friedrich Dürrenmatt, Hermann Kant, Stephan Hermlin, Günter
Grass und Reiner Kunze, ein Referat über „Einheit und Vielfalt“.
Kraus sprach sich darin sehr „entschieden für alle Gespräche, für kluge Sym-
posien, für Disputationen und Diskussionen“ aus, die „eine Vielfalt von Positi-
onen erkennen lassen und damit die Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten
zeigen“.101 Er betonte, dass es in Wien, „viele solche Veranstaltungen gerade mit
Menschen aus unterschiedlichen Lagern und politischen Systemen“ gegeben
habe und bestärkte die Mittlerrolle Österreichs: „Ich beobachte, daß gerade dies
in der relativ großen Hauptstadt eines kleinen und neutralen Landes mit einem
pluralistischen Erbe ein förderliches Klima findet und meine, daß solche Sym-
96 Mittagsjournal, 6. März 1981, Österreichische Mediathek, URL: https://www.mediathek.at/
atom/09315A12-2D1-00135-000006FC-0930AAD5 [zuletzt aufgerufen am 15.1.2020].
97 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 9. März 1981, NL WK.
98 Ders.: Tagebuch, 2. März 1981, NL WK.
99 Ders.: Tagebuch, 9. März 1981, NL WK.
100 Vgl. Hubertus Knabe: Der schwierige Kulturdialog in Europa. Anmerkung zum KSZE-Kultur-
forum in Budapest. In: Osteuropa, Zeitschrift für Gegenwartsfragen des Ostens 36 (1986), H.
5, S. 380–388.
101 Wolfgang Kraus: Einheit und Vielfalt, ms. Ts., Bl. 5, NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
318 Kontaktperson, Vermittler, Dolmetscher
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437