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ratur, weil sie „den Blick in die Vergangenheit“ öffnen und „zugleich auch über
die Grenzen Österreichs hinaus lenkten“, wodurch die „Enge des Kleinstaates
überwunden und zugleich zu jenen Diskursen“ hingeführt wurde, die „im Zuge
der Konzentration auf die eigenen und mitunter sehr eigentümlichen Probleme
aus dem Blickfeld geraten waren“.142
Erstaunlich ist, dass mit Arthur Koestlers Sonnenfinsternis (Darkness at Noon,
1941) gleich nach Sperber ein weiterer Text eines Ex-Kommunisten folgt. Micha-
el Rohrwasser hat hinsichtlich der Romantrilogie Sperbers und Koestlers cold
war bestseller festgehalten, dass in beiden Texten Grenzen zwischen Autobiogra-
fie und Roman fließend verlaufen. Während Koestler sich bei seinem Roman
auf die mündlichen Mitteilungen der Ehefrau des Physikers Alexander Weiß-
berg-Cybulskis über die Säuberungen in Moskau des Jahres 1936 gestützt hat,
sowie auf seine eigenen Erfahrungen in spanischen Gefängnissen während des
Spanischen Bürgerkriegs, teilte Sperber Hermann Kesten über seine Trilogie mit,
dass die Bücher „weder Schlüsselromane noch autobiographisch“ seien, jedoch
„bestimmte Situationen, in denen meinesgleichen gelebt hat, zutreffend“143 wie-
dergeben würden. Für Kraus dürfte die Dringlichkeit von Koestlers Roman an
der Darstellung des totalitären Systems von innen gelegen haben, nennt er Son-
nenfinsternis doch ein „zentrale[s] Stück dieser Hintergrundsproblematik“144
gegen die KPdSU.
Mit Alexander Lernet-Holenia, Friedrich Torberg und Albert Drach folgen
drei österreichische Autoren, die sowohl politisch als auch stilistisch unter-
schiedlicher nicht sein könnten, wobei ersterer vor allem das „alte“ Österreich
verkörperte. Lernet-Holenia war mit drei Werken vertreten, dem Kriminalro-
man Ich war Jack Mortimer (1933), Die Standarte (1934), – jener Roman, der
mit der Geschichte des Dragoners Menis, der die Standarte seines Regiments
retten will, den Untergang der k.
u.
k. Armee beschreibt, – sowie Beide Sizilien
(1942), ebenfalls ein „Militärroman“. Torberg ist immerhin mit vier Werken
vertreten, darunter Der Schüler Gerber (1932), Hier bin ich, mein Vater (1948),
Die Tante Jolesch (1975) und Die Erben der Tante Jolesch (1978),145 während von
142 Wendelin Schmidt-Dengler: „…das fortgeschrittenste Land, ohne es zu wissen“. Unbewusster
Avantgardismus aus Österreich. Innsbruck, Wien, Bozen: Studien-Verlag 2009 (= Österreich
- Zweite Republik 12), S. 81.
143 Hermann Kesten: Meine Freunde, die Poeten. München: Kindler 1959, S. 408. Zit. n. Michael
Rohrwasser: Der Stalinismus und die Renegaten. Die Literatur der Exkommunisten. Stuttgart:
Metzler 1991, S. 10.
144 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 9. Oktober 1985, NL WK.
145 Vgl. zu diesen Romanen Marcel Atze: „Was von einem ganzen Lebenswerke bleibt“. Friedrich
Torbergs Prosatexte zwischen Produktion und Rezeption. In: Ders., Marcus G. Patka (Hg.):
Die „Gefahren der Vielseitigkeit“. Friedrich Torberg 1908–1979. Wien: Holzhausen 2008 (=
Wiener Persönlichkeiten 6), S. 25–58.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Kulturkontaktstelle 329
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437