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Drach nur Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum (1964)146 angeführt ist.
Drach erzählt in dem im Protokollstil gehaltenen Text, den er im Nizzaer Exil
1939 verfasst hat, die Geschichte eines jungen chassidischen Juden aus dem
ostgalizischen Brody, der am Ende des Ersten Weltkriegs, vertrieben „von den
mörderischen Pogromen, in einem Dorf in der Nähe von Wien landet und durch
den Diebstahl einer Zwetschke in die Räder der österreichischen Justiz gerät“.147
Der Text entfaltet dabei „das Panorama des rassischen Antisemitismus“148 zwi-
schen 1914 und 1918.
Mit Gregor von Rezzoris Ein Hermelin in Tschernopol (1958) folgt in Kraus’
Kanon ein Text, der eine Kindheit an der Ostgrenze der Donaumonarchie
beschreibt und die „poetische Rekonstruktion einer untergegangenen Welt in
der Vielfalt ihrer Aspekte“149 versucht.
Gertrud Fusseneggers Roman Das Haus der dunklen Krüge (1951) nimmt sich
ebenfalls des Raums der ehemaligen k.
u.
k. Monarchie an, der das Schicksal der
Familie der Autorin in Böhmen zwischen 1870 und 1887 erzählt.150 Fusseneg-
gers Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus wurden erst spät thematisiert.
Mit Hans Leberts Die Wolfshaut (1960) findet sich einer der frühesten öster-
reichischen Romane, der sich der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit widmet.
Als Antipode zu Lebert kann der als nächster in der Liste angeführte Fritz Habeck
gelten, der als Repräsentant des konservativ geistigen Klimas der österreichi-
schen Nachkriegszeit gilt. Mit Habecks Der Ritt auf dem Tiger (1958) finden sich
die „österreichischen Buddenbrooks“ auf Kraus’ Liste, denn der Roman erzählt
am Beispiel von drei Generationen einer Wiener Familie die Geschichte Öster-
reichs seit 1900.151
Mit Franz Tumlers Roman Ein Schloß in Österreich (1953) führt Kraus ein
Werk an, das abseits der politischen Bühne der Nachkriegszeit angesiedelt und
einer konventionellen Schreibweise verpflichtet ist. Jedoch nahm Kraus mit
146 Vgl. dazu Eva Schobel: Albert Drach. Ein wütender Weiser. Salzburg, Wien, Frankfurt/M.:
Residenz 2002, S. 242 f.
147 Michael Rohrwasser: Stachel der Lektüre: Das große Protokoll gegen Zwetschkenbaum. In:
Klaus Kastberger, Kurt Neumann (Hg.): Grundbücher der österreichischen Literatur seit 1945.
Erste Lieferung. Wien: Zsolnay 2007 (= Profile 14), S. 240–248, hier S. 243.
148 Ebd., S. 246.
149 Sigurd Paul Scheichl: „Das Leben spielt sich in Satiren ab“. Satirisches in Gregor von Rezzoris
‚Hermelin in Tschernopol‘. In: Austriaca 54 (2000), H. 27, S. 73–90, hier S. 75.
150 Vgl. Ernst Fischer: Paula Grogger. In: Walther Killy (Hg.): Literaturlexikon. Autoren und Wer-
ke des deutschsprachigen Kulturraumes. Bd. 4. 2., vollst. überarb. Aufl. Berlin [u. a.]: de Gruy-
ter 2009, S. 366.
151 Wendelin Schmidt-Dengler, Andreas Weber: Eine Landschaft aus Gegensätzen. Über die öster-
reichische Literatur nach 1945. In: Manfred Wagner (Hg.): Niederösterreich. Eine Kulturge-
schichte von 1861 bis heute. Bd. 2: Niederösterreich und seine Künste. Wien. Köln, Weimar:
Böhlau 2005, S. 153–178, hier S. 164 f.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
330 Kontaktperson, Vermittler, Dolmetscher
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437