Seite - 350 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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Michael Lewin, dass er es favorisiert habe abzusagen: „‚Ich werde fahren.‘ Wie-
wohl oder gerade weil ihm von österreichischer Seite ‚große Schwierigkeiten‘
bereitet worden seien. Frage: namentlich von Wolfgang Kraus? Fried/Lewin:
Zustimmung. Und Fried, der den belgischen Vermittlern keinen Korb geben
möchte, weiter im Klartext: ‚Ich fahre, um die österreichische Reaktion zu des-
avouieren...‘“240 Über Fried und dessen politisches Engagement hielt Kraus ange-
sichts der Nachricht dessen Todes weniger als einen Monat später fest: „Wäre
Fried nur nicht politisch so anfällig gewesen. In den letzten Jahren hatte ich kei-
nen Kontakt mehr mit ihm.“241
Dass Michael Scharang zunächst nicht eingeladen wurde, wie er etwa auch in
„profil“ behauptete,242 könnte auch damit in Zusammenhang gestanden haben,
dass er sich im Zuge seiner politischen Pamphlete über den Bundeskanzler lus-
tig gemacht hatte, aber eventuell auch damit, dass die offiziellen Einladungen
vom „Europalia“-Büro in Brüssel aus ergingen.243 Scharang hatte in seinen „Wie-
ner Vorlesungen zur Literatur“ konstatiert, „dass der eine Kanzlerkandidat, der
noch nie einen geraden Satz hervorgebracht hat, sich nun auch schon beim
Räuspern verspricht, also im Alltag, beziehungsweise im Fernsehalltag etwas
zustandebringt, wozu Ernst Jandl noch enormen Kunstaufwand treiben mußte.
Literatur hat also Politik antizipiert.“244
Eine Streitschrift von Scharang, Turrini und Jelinek mit dem an Die demolir-
te Literatur (1896/97) von Karl Kraus gemahnenden Titel Die Demolierung Öster-
reichs oder Der Weg in den demokratischen Faschismus, die als Protokoll einer
Lesung, die am 29. September 1986 im Theater im Künstlerhaus stattgefunden
hatte, lag Kraus in Auszügen vor. Die Texte waren in der Reihe „der streit“ im
März 1987 von Christa Binder und Erwin Riess herausgegeben worden. Kraus
hat vor allem dem dort abgedruckten Pamphlet aus der „Volksstimme“ von Elfrie-
de Jelinek seine Aufmerksamkeit gewidmet. Missfallen haben dürfte ihm dabei
Jelineks Aufruf „wählen Sie die KPÖ!“:
Die einen schützen natürlich sich selber, die anderen müssen vor sich selber geschützt
werden, damit sie keine politischen Forderungen an die anderen stellen. Und falls
240 Ebd.
241 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 23. November 1988, NL WK.
242 Christoph, Löffler: Geschossene Böcke, S. 54. Michael Scharang gab zu Protokoll, er sei von
der belgischen Universität zur „Europalia“ eingeladen worden, Kraus habe ihn nie gefragt,
wobei „häufiger als böse Absicht wird dem Europalia-Büro in Wien ‚Ungeschick‘ vorgeworfen“.
243 Vgl. Wolfgang Kraus an Madou Moulaert, 19. Dezember 1986, ÖGL-Archiv.
244 Michael Scharang: Die Vergeistigung der Wirklichkeit und die Ästhetisierung der Politik enden
im Faschismus, damals wie heute oder Der Weg vom höchstpersönlichen Ausdruck zum mas-
senhaften Tod ist kurz. In: Wespennest 19 (1987), H. 66, S. 44–47, hier S. 44.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
350 Kontaktperson, Vermittler, Dolmetscher
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437