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neben den offizielle Agenturen auch Institutionen mit verdeckten Agenden ope-
rierten, die versuchten, „möglichst unaufdringlich westliches oder sowjetisches
Gedankengut auf der jeweils anderen Seite des Konflikts zu popularisieren“.7
Mit diesem kulturell geführten Kalten Krieg ging ein Effekt einher, der die
Staatsmacht mit den Institutionen der Literatur und Kunst verband. Während
des Kalten Krieges dienten Persönlichkeiten aus der bildenden Kunst, der Lite-
ratur, der Kritik, des Verlagswesens und der Publizistik als Informantinnen und
Informanten oder Agentinnen und Agenten für staatliche Agenturen und waren
oft selbst, ohne sich dessen bewusst zu sein, Ziel der Überwachung durch staat-
liche Institutionen.8 Die CIA schickte nicht nur ganze Orchester um die Welt,
sondern auch Jazz-Musiker wie Louis Armstrong oder Dave Brubeck wurden
vom US-State Departement als die „wahren Botschafter“ (The Real Ambassa-
dors) auf Tourneen hinter den „Eisernen Vorhang“ entsandt, um dort den Jazz
als Errungenschaft der US-amerikanischen Kultur zu propagieren.9
Die Einmischung durch die Machthaber geschah am offensichtlichsten durch
Zensur oder Unterdrückung, aber auch durch Patronanz bzw. Förderung einer
offiziell erwünschten Kunst, die, selbst wenn sie keine Message enthielt, im jewei-
ligen Kontext die Ideologie einer der beiden Supermächte kommunizierte.
Der Kalte Krieg war die „Ära der politischen Lager und der rigiden Zuord-
nungen“10, der mit seinem System der Bipolarität alle alternativen Positionen
leugnete und im Zuge der miteinander im Widerstreit stehenden Interpretati-
onssysteme für verhärtete Fronten sorgte. In Wien wurde der kulturelle Kalte
Krieg seit den 1950er Jahren besonders akribisch geführt, vor allem im literari-
schen Feld.11 Wien diente hier nicht nur als eine „Brücke zwischen Ost und
West“, wodurch die Rolle des Landes als Transmissionsriemen und neutraler
Treffpunkt für internationale Konferenzen und Organisationen wie die Interna-
7 Stöver: Der Kalte Krieg, S. 279.
8 Vgl. Erin G. Carlston: Modern Literature under Surveillance: American Writers, State Espio-
nage, and the Cultural Cold War. In: American Literary History 22 (2010), Nr. 3, S. 615–625.
9 Vgl. Penny M. Von Eschen: The Real Ambassadors. In: Reinhold Wagnleitner (Hg.): Satchmo
Meets Amadeus. Wien, Innsbruck, Bozen: Studien-Verlag 2006 (= Transatlantica 2), S. 99–110.
10 Michael Rohrwasser: „manche meinen / lechts und rinks / kann man nicht / velwechsern. /
werch ein illtum!“ Avantgarde und Kalter Krieg. In: Thomas Eder, Juliane Vogel (Hg.): ver-
schiedene sätze treten auf. Die Wiener Gruppe in Aktion. Wien: Zsolnay 2008 (= Profile 15),
S. 65–86, hier S. 65.
11 Vgl. Michael Hansel, Michael Rohrwasser (Hg.): Kalter Krieg in Österreich. Literatur, Kunst,
Kultur. Wien: Zsolnay 2010 (= Profile 17); Günter Stocker, Stefan Maurer: „Fellow Traveller“,
„trojanische Pferde“, „Neutralisten“. Figuren des Dritten in der österreichischen Kultur des
Kalten Krieges. In: David Eugster, Sibylle Marti (Hg.): Das Imaginäre des Kalten Krieges. Bei-
träge zu einer Kulturgeschichte des Ost-West-Konfliktes in Europa. Essen: Klartext Verlag 2015
(= Frieden und Krieg 21), S. 117–136.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Der kulturelle Kalte Krieg in Europa 357
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437