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Als „Stellvertreterkriege“ unter einem inhaltlichen Aspekt bezeichnet Jessica
Gienow-Hecht die während der Systemkonfrontation herrschende Auseinan-
dersetzung der Supermächte auf der Ebene von Diplomatie und Aufrüstung,
aber auch Kultur und Technologie.41 Sowohl die USA, als auch die UdSSR bedien-
ten sich Methoden der „psychologischen Kriegsführung“ („psychological war-
fare“), der Spionage sowie kultureller Infiltration, um den eigenen Vorsprung,
war dieser auch realiter nicht vorhanden, so doch zu inszenieren und dadurch
eine Schwächung des Gegners nach Innen und Außen hervorzurufen.
In Österreich gab es Institutionen und Akteure wie die ÖGL und Wolfgang
Kraus, die als Teil des „state-private networks“42 am kulturellen Kalten Krieg
teilnahmen und von den Fronten profitierten. Die ÖGL war, wie auch das bereits
1958 etablierte „Österreichische Ost- und Südosteuropa-Institut“, eine Grün-
dung unter Unterrichtsminister Heinrich Drimmel.
David Caute hat darauf hingewiesen, dass das Wettbewerbsprinzip im kultu-
rellen Verkehr zwischen Ost und West zumeist nur schwach als „kultureller Aus-
tausch“ oder „Diplomatie“ getarnt war und konstatiert, dass mit dem kulturellen
Kalten Krieg eine Verbindung der Staatsmacht mit der Kunst einherging, die
sich, v. a. durch Zensur und Unterdrückung, aber auch durch Protektion und
Förderung äußerte.43
In der Folge des mit der Entstalinisierung einhergehenden „Tauwetters“, das
sich nach Stalins Tod 1953 in immer wieder unterbrochenen „Wellen“ nach
Chruschtschows „Geheimrede“ 1956 auf dem 20.
Parteitag der KPdSU ausbrei-
tete, kamen jene Schriftstellerinnen und Schriftsteller zum Zug, die bisher zu
schweigen gehabt hatten. Diejenigen der sowjetischen Intelligenzija, die unter
Stalin in der Butyrka, im Gulag oder der Verbannung im Hinterland hatten vege-
tieren müssen, erfuhren nun Rehabilitierung und konnten ihre Arbeit wieder
aufnehmen.
tribution Program Behind the Iron Curtain. Budapest, New York: Central European Universi-
ty Press 2013, S. 305. Wegen ihrer geographischen Nähe zu den kommunistischen Ländern
kam der Stadt Wien innerhalb des Projektes eine Schlüsselrolle bei diesen Aktionen zu. Hier
sind insbesondere der Leiter des Jungbrunnen-Verlags und der Buchhandlung Frick, Peter
Straka, wie auch die Österreichische Gesellschaft für Literatur unter Wolfgang Kraus zu nen-
nen, die an dem Buchversendungsprogramm partizipierten.
41 Jessica C. E. Gienow-Hecht: Wer gewinnt den Wettlauf? Stellvertreterkriege in Kultur und Wis-
senschaft. In: Der Kalte Krieg. Hg. v. Uta A. in Zusammenarbeit mit DAMALS – Das Magazin
für Geschichte. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2010, S. 83–90, hier S. 83.
42 Gilles Scott-Smith: The Politics of Apolitical Culture: The Congress for Cultural Freedom, the
CIA and Post-War American Hegemony. London: Routledge 2002, S. 22. Zit. n. W. Scott Lucas:
Beyond Freedom, Beyond Control: Approaches to Culture and the State-Private Network in the
Cold War. In: Giles Scott-Smith, Hans Krabbendam (Hg.): The Cultural Cold War in Western
Europe. 1945–1960. London: Routledge 2003 (= Studies in Intelligence), S. 53–72, hier S. 56.
43 Vgl. Caute: The Dancer Defects, S. 6.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
364 Kontaktperson, Vermittler, Dolmetscher
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437