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verantwortlich, den sie mit der Organisation von Lesungen, Diskussionen, Buch-
vorstellungen, Ausstellungseröffnungen und Symposien stärkte (vgl. Kapitel 3),
sondern führte auch „Stellvertreterkriege“ im kulturellen Kalten Krieg. Sie wur-
de finanziell und organisatorisch durch Organisationen wie den „Kongress für
kulturelle Freiheit“, aber auch George C. Minden, den Präsidenten des „Inter-
national Literary Center“50 unterstützt, einer Organisation, die mehr als zwan-
zig Jahre lang über ein weit verzweigtes europäisches Netzwerk von Buch- und
Zeitschriftenverlagen sowie unverdächtigen kulturellen Organisationen wirk-
te.51
Bundeskanzler Josef Klaus, der Kraus wohlgesonnen war, antwortete in einem
Interview mit Helmut Wohnout auf die Frage, ob der intensive kulturpolitische
Aufbau von Ostkontakten durch Kraus und die ÖGL auf einer von der offiziel-
len Außenpolitik getrennten Linie verlaufen sei, dass Kraus’ Initiative von den
offiziellen Stellen dankbar zur Kenntnis genommen worden sei, es jedoch keine
offiziellen Aufträge gegeben habe und die Aktivitäten der ÖGL auf einer Ebene
außerhalb der Regierung durchgeführt worden seien.
Bei seinen Aktivitäten im Zeichen des Kalten Krieges kam Kraus ein Diskurs zu
Gute, dem sich die österreichische Kulturpolitik seit den 1950er Jahre verschrie-
ben hatte: Die Konstruktion eines Raumes, der überzeitlichen Prinzipien gehorch-
te und den konservativen Österreich-Diskursen folgte, die „Habsburgnostalgie“
beschwor und sich der Wien- und Österreich-Glorifizierung bediente,52 um die
räumliche Distanz, die durch den „Eisernen Vorgang“ zwischen Österreich und
seinen „ehemaligen Kronländer[n] und Provinzen“53 entstanden war, nun durch
einen aus der gemeinsam geteilten Erfahrung des großen Reiches Habsburg ent-
springenden Dialog zu überwinden, der mit antikommunistischen Vorzeichen
versehenen ist: „Und die Intellektuellen der Ostländer, vor allem natürlich jene
der Nachfolgestaaten der Donaumonarchie, blicken wiederum nach Wien, bei-
nahe wie einst, als Wien noch die große Hauptstadt war: Wien und das heutige
kleine Österreich ist ja der einzige glückliche Teil der Monarchie, dem es gelang,
nicht kommunistisch zu werden.“54
Kraus’ Argumentation mag vor dem politischen Hintergrund des Kalten Krie-
50 Vgl. dazu Martin Douglas: George C. Minden, 85, Dies; Led a Cold War of Words. In: New
York Times, 23. April 2006.
51 Vgl. Alfred Reisch: Ideological Warfare during the Cold War: The West’s Secret Book Distri-
bution Program behind the Iron Curtain. In: Military Power Revue der Schweizer Armee (2008),
H. 3, S. 44–56.
52 Ebd.
53 Wolfgang Kraus: Koexistenz der Zeiten und Völker. Vergangenheit und Gegenwart der öster-
reichischen Literatur. In: Modern Austrian Literature 1 (1968), H. 2, S. 39–42, hier S. 41.
54 Ebd., S. 42.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
366 Kontaktperson, Vermittler, Dolmetscher
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437