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Intellektuellen“162 beurteile. Kraus, der im April 1969 nach Prag gereist war,
wollte auf Stones „telephonisches Angebot zurückzukommen“ und ihn bitten,
„wenn möglich wieder einen Betrag an uns zu überweisen, damit wir den meist
völlig mittellosen Ankömmlingen einen Mindestbetrag zur Verfügung stellen
können“.163
Über seinen Aufenthalt, während dem er „sozusagen mit ‚allen Intellektuel-
len‘ gesprochen“ habe, die den Wunsch geäußerten hätten, „die westliche Welt
solle sie nicht ‚abschreiben‘, sondern weiterhin alle Vorgänge mit Aufmerksam-
keit beobachten“, zog Kraus folgendes Resümee: „Gerade Österreich könnte ihrer
Meinung nach dabei wieder eine wichtige Rolle spielen, weil Einladungen aus
Wien auch bei einer Verschlimmerung der Lage wahrscheinlich erlaubt bleiben
dürften.“164
Noch 1970 suchte Hella Bronold für Dezső Monoszlóy, den ehemaligen Sekre-
tär der ungarischen Sektion des „Tschechoslowakischen Schriftstellerverbandes“,
der 1968 über Jugoslawien nach Wien geflüchtet war und einen dauerhaften
Wohnsitz in Wien einnehmen würde, bei Stone um Unterstützung an, da dieser
bereits „vielversprechende Verbindungen mit Verlagen aufgenommen“ habe, es
jedoch noch einige Zeit dauern würde, „ehe er für seine Arbeiten Geld in die
Hand“165 bekomme. Jeleński war froh zu hören, dass sich die ÖGL immer noch
der „Czech refugees“ annahm und hoffte, dass in Österreich Gelder zur Verfü-
gung gestellt werden könnten, denn der Fond der IASCF hatte „many demands
in other countries“166 zu berücksichtigen.
So genoss die ÖGL als Anlaufstelle für Dissidenten aus den Ländern Osteuropas
in den 1970er Jahren, als sich die sowjetische Praxis der Ausweisungen und Aus-
bürgerungen häufte,167 bereits einen internationalen Ruf und stand mit zahlrei-
chen Intellektuellen hinter dem „Eisernen Vorhang“ in Kontakt. Kraus erinnert
sich etwa: „Mir wird unvergesslich sein, als bei mir zu Hause in Wien 1972 das
Telefon läutete und sich eine ruhige Stimme mit dem Namen Josif Brodsky mel-
162 Shepard Stone an Wolfgang Kraus, 30. Juni 1969, ÖGL-Archiv.
163 Wolfgang Kraus an Shepard Stone, 22. April 1969, ÖGL-Archiv.
164 Ders. an Shepard Stone, 5. Mai 1969, ÖGL-Archiv.
165 Hella Bronold an Konstanty Jeleński, ÖGL-Archiv.
166 Konstanty A. Jeleński an Wolfgang Kraus, 27. Jänner 1970, ÖGL-Archiv.
167 So wurden 1973 Andrei Sinjawski und Naum Koržavin ausgewiesen, im Februar 1974, fast
gleichzeitig mit Alexander Solschenizyn, Wladimir Maximow, der den kritischen Roman Die
sieben Tage der Schöpfung (dt. 1972) verfasst hatte; im Sommer desselben Jahres folgten der
Literaturwissenschaftler Efim Etkind, der Dichter und Liedersänger Aleksandr Galitsch, und
im September wurde Wiktor Nekrassow ausgewiesen. Im Sommer 1975 folgte Andrei Amal-
rik, der einige absurde Dramen im Stil Samuel Becketts verfasste hatte, und im August 1978
emigrierte der Schriftsteller Sergei Dowlatow. Vgl. Lauer (Hg.): Geschichte der russischen Lite-
ratur, S. 833.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die intellektuellen Dissidenten aus dem Osten 391
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437