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176 Die Institution: Struktur & Werte
nationale Selbstbestimmung nach vorne gekehrt. Hauptsächliches Ziel dieses Kapitels
soll daher eine politische Gesamtbetrachtung der Bukowiner Kirchenfrage bis zum Aus-
bruch des Ersten Weltkrieges sein. Dabei gilt es, die allgemeine politische Situation des
Kronlandes mit jener der Kirche sowie ihrer Institutionen, ausgehend von den beiden
Erzbischöfen Czuperkowicz und Repta, miteinander zu verknüpfen. Abschließend dazu
soll
– über die Person Wladimir v. Repta
– eine überleitende Betrachtung der Ende 1918
vor allem auch für die Kirche spürbaren politisch-nationalen Eingliederung der Buko-
wina in das rumänische Königreich und die damit verbundene Neustrukturierung ihrer
Institutionen stehen.
Kirchenfrage und Nationalisierung
Der Universitätsprofessor Dr. Stephan Smal-Stockyj (1859–1939)225, seit 1893 Abge-
ordneter zum Bukowiner Landtag, führte die jungruthenische Bewegung des Kronlan-
des an. Der Ruthenist engagierte sich für die nationale Autonomie der Ruthenen in der
Bukowina. Zudem hatte diese Gruppe seit 1898 mit Nikolai Ritter v. Wassilko (1868–
1924)226 (rum. Nicolae de Vasilco ; ruth. Mykola) einen politisch schwergewichtigen
Vertreter im Landtag sitzen, der ab 1904 an der Spitze des ›Freisinnigen Clubs‹, ein über-
greifendes Parteienbündnis, agierte.227 Den Jungruthenen gelang es allmählich, die uk-
rainisch-nationale Bewegung228 auf eine gesellschaftlich breitere Basis zu heben und ihr
vermehrt Gehör in der Öffentlichkeit zu verschaffen. Mit ihrer politischen Agenda ge-
rieten die Jungruthenen allerdings in Opposition zu rumänisch-nationalen Kreisen und
ebenso zu weiten Teilen der gr.-orient. Kirchenhierarchie des Kronlandes229, betrachtete
doch die orthodoxe Landeskirche der Bukowina besonders seit Morariu-Andriewicz
die nationalen »Aspirationen der Ruthenen« gegenüber der »autochthonen« Bukowiner
Bevölkerung mit Argusaugen. Die Angst vor den Ideen der »ruthenischen Wortführer«,
wonach die »confessionellen Marksteine«, eine Anspielung auf die demographischen
Verhältnisse – die seit Jahren zugunsten der Ruthenen ausfielen – schon von selbst fal-
225 Angaben lt. Österr. Biograph. Lexikon 1815–1950, Bd. 12 (Lieferung. 58, 2005), 363f.
226 Angaben lt. Satco 2004, Enciclopedia, 557.
227 Turczynski 1993, Geschichte, 203f.
228 In der Habsburgermonarchie hatte sich, beginnend vom 18. bis ins 20.
Jahrhundert, offiziell die Be-
zeichnung ›Ruthenen‹ eingebürgert. Diese leitet sich ursprünglich von ›Rutheni‹, einer latinisierten
Form von Rus, Rusyn, etc. ab. Obwohl in der politischen Alltagssprache die Benennung ›Ukrainer‹
für die Ruthenen der Doppelmonarchie schon um die Jahrhundertwende durchaus gebräuchlich
war, setzte sich diese in der Amtssprache erst während des Ersten Weltkrieges allmählich durch.
229 Bihl 1980, Ruthenen, 583 ; Ceauşu 2000, Landtag, 2189f.; Dobržans’kyj 2000, Czernowitz, 50 ;
Hitchins 1980, Rumänen, 615–625.
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Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Title
- Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
- Subtitle
- Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Author
- Kurt Scharr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20927-0
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 447
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Zum Geleit! 11
- Einleitung 13
- 1. Vorwort 13
- 2. Institutionen als Forschungsgegenstand: Analyse & Methodik 18
- 3. Aspekte des Josephinismus. Der katholische Religionsfonds 34
- 4. Gründung des griechisch-orientalischen Religionsfonds 43
- 5. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds Mitte des 19
- 6. Nationsidee, Kirche & Religionsfonds 116
- 7. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds bis 1914 215
- 8. Fondul Bisericesc Ortodox Român 1918–1948 246
- 9. Die wirtschaftliche Situation um 1938 289
- 10. Hebel strukturellen Wandels : Jakobeny – Dornawatra (1784–1949) 306
- 11. Zusammenfassungen 340
- I. Verzeichnis ungedruckter Quellen 371
- II. Abbildungsverzeichnis 377
- III. Abkürzungsverzeichnis 380
- IV. Literaturverzeichnis 381
- V. Personenregister 433
- VI. Synoptische Ortsnamenkonkordanz 439