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Nationsidee, Kirche & Religionsfonds 191
und Rumänen der Erzdiözese strukturell lösen wollte.294 Onciul griff darin neuerlich
den Ruf nach Gewährung eines Kirchenkongresses auf, also einer breiten Laienbeteili-
gung für die Regelung kirchlicher Angelegenheiten. Damit berührte er jedoch die ohne-
dies überaus sensible Frage vom Verhältnis orthodoxe Kirche – Staat bzw. der Autono-
mie der Kirche innerhalb des Staates. Der Rückgriff auf bereits früher geführte Diskus-
sionen um das Statut der orthodoxen Kirche in Österreich im Allgemeinen erschwerte
indes die Ansätze zur Entflechtung dieser komplexen Thematik in der Bukowina mehr
als sie zu deren Lösung beitrug. Nicht nur bei den Personalentscheidungen sicherten
sich die Behörden und in letzter Instanz der Kaiser das entscheidende Wort, sondern
auch in der Verwaltung des Kirchenvermögens, das sich im gr.-orient. Religionsfonds
befand und über diesen verwaltet wurde. Die Kirchenfrage berührte also über kurz oder
lang stets jene der Autonomie und der Verfügungsgewalt über die beträchtlichen Mittel
dieses Fonds. Zugeständnisse Wiens gegenüber derlei Vorschlägen hätten einerseits das
Risiko eines erheblichen politischen Kontrollverlustes seitens des Staates innerhalb des
Kronlandes in sich getragen. Immerhin war das Investitionspotential des Fonds für die
Landesentwicklung – wie sich schon in den Jahrzehnten zuvor etwa an den Beispielen
der Manzschen Eisenwerke oder der Errichtung der Universität gezeigt hatte – von ent-
scheidender Bedeutung in diesem ansonsten strukturschwachen Gebiet. Wien musste
andererseits auf landespolitischer Ebene eine möglicherweise nicht mehr einhegbare
Eskalation der nationalen Verhältnisse befürchten, sobald man den Entscheidungspro-
zess über kirchliche Angelegenheiten in diesem Ausmaß zu weit in die Bevölkerung
hineintragen würde. Dazu kamen die politischen Parteien und ihr wachsendes Verlan-
gen – wie das Erzbischof Czuperkowicz an der eigenen Person erleben musste –, diese
Strukturen für ihre eigenen, oftmals kurzfristigen Zwecke zu instrumentalisieren (vgl.
Abb. 26). Kurz nach der Jahrhundertwende formulierte die Partidul Poporal Naţional
[Nationale Volkspartei] Kirchenautonomie und Verfügungsgewalt über das Religions-
fondvermögen als eines ihrer zentralen politischen Ziele.295
Onciul jedoch blieb fest bei seiner Ansicht, dass die nationalen Spannungen in einem
Kirchenkongress kanalisiert werden könnten und gerade damit gleichzeitig eine demo-
kratisch verfasste Prüfstelle »gegenüber den Herren im Konsistorium« geschaffen wäre,
die »sich frei von jeder Kontrolle wissen und ihrer Willkür die Zügel schießen lassen«.296
294 Bukowinaer Post Nr. 1714 v. 19.I.1905, 1, Zur gr.-or. Kirchenfrage. Von Dr. Aurel Onciul ; Nr. 1719
v. 2.II.1905, 2, Die gr.-or. Kirchenfrage im Parlamente. Interpellation ; Nr. 1728 v. 21.II.1905, 1f., Die
Mißstände in der gr.-or. Diezöse (sic !). Interpellation ; Nr. 1729 v. 23.II.1905, 2f., Die Mißstände in der
gr.-or. Diezöse (Schluß).
295 Gafiţa 2004, Consideraţii, 226.
296 Bukowinaer Post Nr. 1714 v. 19.I.1905, 1.
Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Title
- Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
- Subtitle
- Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Author
- Kurt Scharr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20927-0
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 447
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Zum Geleit! 11
- Einleitung 13
- 1. Vorwort 13
- 2. Institutionen als Forschungsgegenstand: Analyse & Methodik 18
- 3. Aspekte des Josephinismus. Der katholische Religionsfonds 34
- 4. Gründung des griechisch-orientalischen Religionsfonds 43
- 5. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds Mitte des 19
- 6. Nationsidee, Kirche & Religionsfonds 116
- 7. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds bis 1914 215
- 8. Fondul Bisericesc Ortodox Român 1918–1948 246
- 9. Die wirtschaftliche Situation um 1938 289
- 10. Hebel strukturellen Wandels : Jakobeny – Dornawatra (1784–1949) 306
- 11. Zusammenfassungen 340
- I. Verzeichnis ungedruckter Quellen 371
- II. Abbildungsverzeichnis 377
- III. Abkürzungsverzeichnis 380
- IV. Literaturverzeichnis 381
- V. Personenregister 433
- VI. Synoptische Ortsnamenkonkordanz 439