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102 | Wasser
und Abgaben.204 Bürgermeister Wiser teilte diese Einschätzungen, verwies wortreich
auf den großen Zeitaufwand und die »Beschwerlichkeit«, die mit dem Wasserbezug
am Schullerberg – dem oftmaligem Wasserholen aus der Stadt – verbunden sei, und
auf die latente Armut des Stadtteils, der zu diesem Zeitpunkt aus ca. 100 Häusern mit
1.800 Bewohner/innen bestand. Dass Wiser auch eine Gefährdung der Gesundheit
konstatierte und Wassermangel mit Alkoholismus verband, ist wohl eher als Mittel-
schichtsangst vor dem social evil denn als argumentative Strategie zu sehen.205 Den-
noch beschloss der Gemeinderat – wohl aufgrund der zu erwartenden Kosten – die
Errichtung erst zu Beginn des Jahres 1875. In technischer Hinsicht handelte es sich
um ein komplexeres Unterfangen, das durch den neu eingestellten städtischen Inge-
nieur, der bereits in Schweinfurt, Basel und Köln an Wasserleitungsprojekten mitge-
arbeitet hatte, geplant wurde. In der südlich des Schullerbergs gelegenen Sandstätte
wurde eine Quelle gefasst, deren Wasser – täglich rund 1.600 Hektoliter – man mit
Dampfkraft in ein Reservoir pumpte und damit zuerst 6 – 1883 bereits 21 – öffent-
liche Brunnen versorgte (No. 1 in Abb. 9). Die Kosten der Struktur beliefen sich auf
über 21.000 fl und wurden aus der verfallenen Kaution des mittlerweile gescheiterten
Wasserleitungsprojekts des Unternehmens Pongratz und Moore abgedeckt.206 Das
große Fest anlässlich der Eröffnung der Wasserleitung im November 1875 lässt deut-
lich den symbolischen Charakter moderner Infrastrukturen und civic pride erkennen :
»An den Häusern flatterten Fahnen und Blumen und Kränze schmückten die Wände«,
ein »Triumphbogen wölbte sich über die Straße«, und der Bürgermeister trank aus
einem »mit Blumen umkränzten Krystallbecher« Wasser aus der neuen Leitung.207 Zu
danken habe man nicht nur dem Bürgermeister und der Gemeindevertretung, heißt es
in einem nach dem Festakt bei einem Imbiss vorgetragenen humoristischen Gedicht,
sondern auch denen, die »so lang g’ren(n)t [sind] und habet bett’l’t und bitt’[,] bis mir
hirzt dö Brün(n) habn’ in unserer Mitt’.«208
1881 bezeichnete man das Wasser der Leitung als ein »recht gutes«, das aber mit
20 kr pro Kubikmeter »verhältnismäßig hohe Kosten« im laufenden Betrieb verur-
sache.209 Schon vor der Errichtung der Leitung hatte es Ansuchen um Erweiterun-
gen gegeben, denen man vonseiten des Gemeinderates zunächst ablehnend gegen-
überstand. Bald nach der Inbetriebnahme wurden aber zahlreiche weitere öffentliche
Brunnen und (gegen Bezahlung) Hauseinleitungen genehmigt, sodass sich 1890 die
Zahl der Hauseinleitungen auf 45 und die der Brunnen auf 30 belief – das Versor-
204 Pichler-Baumgartner, Wege, 124.
205 Adam, Wiser, 316.
206 Pichler-Baumgartner, Wege, 126 – 128 ; RB 1879 – 1880, 80f.; RB 1883, 85.
207 LVB, 30.11.1875 ; vgl. Pichler-Baumgartner, Wege, 46 – 48 u. 125f.; Adam, Wiser, 316 – 318.
208 Privatsammlung Paul Stöger, ohne Signatur, »Zur feierlichen Eröffnung der Wasserleitung am Schul-
lerberge den 28. November 1875« (Abschrift 3.12.1875).
209 AStL, Altakten, Sch. 171 ; vgl. Pichler-Baumgartner, Wege, 240f.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Transformationen städtischer Umwelt
Das Beispiel Linz, 1700 bis 1900
- Title
- Transformationen städtischer Umwelt
- Subtitle
- Das Beispiel Linz, 1700 bis 1900
- Author
- Georg Stöger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21233-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 368
- Keywords
- Umweltgeschichte, Stadtgeschichte, Nachhaltigkeit
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- 1. Einleitung 11
- 2. Kontexte : Linz 1700 bis 1900 36
- 3. Wasser 75
- 4. Energie und Biomasse 109
- Omnipräsenz des Brennholzes 109
- Die langsame Transition zur fossilen Energie 118
- Pferde und Wasser : Erneuerbare Antriebsenergie 123
- Lebensmittel : Lokaler Bedarf und lokale Versorgung 127
- Dritter bis sechster »Kreis« : Lebensmittel aus dem Um- und Hinterland 137
- Modifikationen der Lebensmittelversorgung 141
- 5. Zirkulationen und Output 145
- 6. Fluviale und aquatische Räume 185
- 7. Geordnete und modifizierte Umwelt 205
- 8. Natur der Städter – Natur für Städter 232
- 9. Epidemie 253
- 10. Versorgungskrise 274
- 11. Naturgefahr 290
- 12. Logiken und Akteure des Existenten und des Wandels 324
- Literatur- und Quellenverzeichnis 332
- Archivalien und ungedruckte Quellen 332
- Datenbanken 333
- Periodika 333
- Gedruckte Quellen und Literatur 334
- Anhang 358
- Verzeichnis der Tabellen und Grafiken 358
- Abbildungsnachweis 359
- Währungen und Maßeinheiten 360
- Hinweise zu den kartographischen Darstellungen 362
- Abkürzungen 364