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296 | Naturgefahr
Aufgrund ihrer Regelmäßigkeit seien religiöse Deutungsmuster bei Überschwem-
mungen »selten« gewesen, so die Einschätzung von Christian Rohr für das Mittelalter
und das 16. Jahrhundert, Hinweise auf religiöse Praktiken bei oder nach Hochwasser-
ereignissen gebe es hingegen häufiger.39 Mitunter erinnern die religiösen Gegenmaß-
nahmen an seuchenbezogene Praktiken (vgl. Kap. 9. Epidemie). Am Höhepunkt des
ersten Sommerhochwassers 1786 wurden Betstunden in der Ignatiuskirche abgehalten,
woran man »das Publikum zuvor durch den Trommelschlag öffentlich erinnert[e]«.40
Die Dreifaltigkeitssäule am Linzer Hauptplatz wurde 1717 – 1723 nicht nur aufgrund
der eher glimpflich verlaufenen Pest errichtet, so der Topograph Benedikt Pillwein ein
Jahrhundert später, sondern auch »wegen gedrohten türkischen Einfall, […] Wasser-
not und Rebellion«.41 Vermutlich bezog sich dies auf die große Überschwemmung des
Frühjahrs 1716, die Ober- und Niederösterreich betroffen hatte.42 Nach dem Rück-
gang der von einem Eisstoß verursachten Überschwemmung im Februar/März 1784
erfolgten die Säuberung der Stadt und ein Dankgottesdienst43 und noch 1830 fanden
Dankgottesdienste »für die Abwendung der Gefahren beim letzten Eisstoß« statt.44
Für das 18. Jahrhundert finden sich kaum religiöse Deutungen von Überschwem-
mungen : Selbst die Klosterchroniken notierten die regelmäßigen Hochwasserereig-
nisse nur knapp und beschrieben eher die Schäden,45 nur der Linzer Beamte Anton
Cremeri verband in seinem »Selbstgespräch« das sommerliche Extremhochwasser
des Jahres 1786 mit »Vorsehung« und einer »straffenden Gottheit«.46 Anders deutete
dieses Hochwasser der donaunah aufgewachsene Publizist Lorenz Hübner, der zuvor
bereits eine »Gräuliche Überschwemmungs-Geschichte« über das große Hochwasser
1784 aus Zeitungs- und Zeugenberichten kompiliert hatte,47 und begründete es weit-
gehend rational-aufgeklärt : Zwar finden sich in der Einleitung religiöse Untertöne
(»ewigen Fürsehung«), was bei einem Ex-Jesuiten nicht überraschen sollte, Hübner
schrieb aber noch auf der gleichen Seite vom »schrecklichsten Naturübel« und von
natürlichen »Begebenheiten«.48 Sein abschließendes Nachdenken über die Ursachen
der Überschwemmungen titulierte er als »Physikalische Bemerkung« : Vermutlich
seien neben heftigen Regenfällen Erdbeben, die »Erdgewölbe« einstürzen und un-
39 Rohr, Naturereignisse, 391 – 397.
40 LZ, 30.6.1786 ; vgl. Cremeri, Selbstgespräch, 15.
41 Pillwein, Beschreibung, 70 ; vgl. AStL, Altakten, Sch. 146.
42 Hohensinner, Hochwässer, 39.
43 LR E7a u. b, Reg. 724 (177f.).
44 LZ, 22.3.1830.
45 Vgl. dazu das donaunahe Kapuzinerkloster : LR E1a.
46 Cremeri, Selbstgespräch, 7f.
– »die Hand des Herrn [ist] über euch gekommen, euch für eure Sünden zu
straffen« (ebd., 5).
47 Hübner, Ueberschwemmungs-Geschichte.
48 Hübner, Angedenken, unpag. [2].
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Transformationen städtischer Umwelt
Das Beispiel Linz, 1700 bis 1900
- Title
- Transformationen städtischer Umwelt
- Subtitle
- Das Beispiel Linz, 1700 bis 1900
- Author
- Georg Stöger
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21233-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 368
- Keywords
- Umweltgeschichte, Stadtgeschichte, Nachhaltigkeit
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- 1. Einleitung 11
- 2. Kontexte : Linz 1700 bis 1900 36
- 3. Wasser 75
- 4. Energie und Biomasse 109
- Omnipräsenz des Brennholzes 109
- Die langsame Transition zur fossilen Energie 118
- Pferde und Wasser : Erneuerbare Antriebsenergie 123
- Lebensmittel : Lokaler Bedarf und lokale Versorgung 127
- Dritter bis sechster »Kreis« : Lebensmittel aus dem Um- und Hinterland 137
- Modifikationen der Lebensmittelversorgung 141
- 5. Zirkulationen und Output 145
- 6. Fluviale und aquatische Räume 185
- 7. Geordnete und modifizierte Umwelt 205
- 8. Natur der Städter – Natur für Städter 232
- 9. Epidemie 253
- 10. Versorgungskrise 274
- 11. Naturgefahr 290
- 12. Logiken und Akteure des Existenten und des Wandels 324
- Literatur- und Quellenverzeichnis 332
- Archivalien und ungedruckte Quellen 332
- Datenbanken 333
- Periodika 333
- Gedruckte Quellen und Literatur 334
- Anhang 358
- Verzeichnis der Tabellen und Grafiken 358
- Abbildungsnachweis 359
- Währungen und Maßeinheiten 360
- Hinweise zu den kartographischen Darstellungen 362
- Abkürzungen 364