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Einführung
Die Bedeutung von Heimatrecht und Staatsbürger
schaft für die Emanzipation der
Juden1, d. h. ihre Inklusion in den Staatsverband durch Er langung vollkommener
rechtlicher und politischer Gleichstellung, blieb
– wenngleich die Forschung sich in
den letzten Jahrzehnten vermehrt dem besonderen Beitrag von Juden und Jüdinnen
zur österreichischen Kultur und Wissenschaft gewidmet hat2
– bisher wenig bedacht.
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft, zwei gänzlich verschiedene Konzeptionen der
Integration – die moderne staatsbürgerliche in den großen Raum der österreichi-
schen Monarchie, die ältere heimat rechtliche in den engeren Raum der Gemeinde
–,
bestimmen noch weit über die Monarchie hinaus nicht nur den Rechtsstatus einer
Person, sondern in hohem Maße auch deren Identität. Dies gilt im Besonde ren für
die österreichischen Juden, die nach einem sich über mehrere Generationen erstre-
ckenden Transformationsprozess in religiöser, politischer und kultureller Hinsicht
eher eine Vielheit differenter Gruppierungen als eine geschlossene Entität verkör-
perten.3
Vor der Folie der Entrechtung und Ausbürgerung der österreichischen Juden wäh-
rend der NS-Zeit wird an dieser Stelle versucht, gleichsam den Bogen zurückzu-
spannen und diskursanalytisch wie normativ und rechtspraktisch den umgekehrten
Prozess einer stufenweisen Inklusion von Juden und
– mit beträchtlichen Einschrän-
kungen – Jüdinnen in Heimatrecht (politisches Domicil) und Staatsbürgerschaft der
österreichischen Monarchie seit den josephinischen Reformen zu beschreiben. Hei-
1 Der Begriff Emanzipation meinte ursprünglich die Freilassung eines Sklaven (lateinisch : e manu
cipere) ; in der Neuzeit wurde er zuerst von irischen Katholiken in den 1820er-Jahren gebraucht
(Catholic Emancipation), bevor ihn sich jene zu eigen machten, die für die Rechte der Juden eintra-
ten. Weiterführend : Jacob Katz : Zur Assimilation und Emanzipation der Juden (Darmstadt 1982),
S. 157f.
2 Stellvertretend für viele Neuerscheinungen sei hier der Band : Frank Stern/Barbara Eichinger (Hg.) :
Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938. Akkulturation
– Antisemitismus
– Zionismus (Wien/
Köln/Weimar 2009) genannt.
3 Vgl. Hildegard Kernmeyer/Klaus Hödl/Petra Ernst : Assimilation
– Dissimilation
– Transkulturation.
Jüdische Identitäten in der Wiener und zentraleuropäischen Moderne, in : Moritz Csáky et al. (Hg.) :
Kultur – Identität – Differenz. Wien und Zentraleuropa in der Moderne (Innsbruck et al. 2004),
S. 291–322. Siehe auch : Wolfgang Schmale/Martina Steer : Kulturtransfer in der jüdischen Ge-
schichte (Frankfurt/Main 2006).
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Untertitel
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Autor
- Hannelore Burger
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271