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Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern 19
Pflichten vollkommen wie andere Untertanen angesehen« werden sollten, doch blie-
ben ihnen nach wie vor wichtige Rechte wie das Bürger- und Meisterrecht, das Recht
auf Haus- und Grundbesitz sowie das Recht auf Freizügigkeit verwehrt. Ungleichhei-
ten, Diskriminierungen oder Sonderrechte existierten in je spezifischer Weise aller-
dings auch für andere Bevölkerungsteile, etwa für Frauen oder Adlige. Darüber hinaus
standen Incolat und Indigenat38, »gemischte Untertanen« (»sujets mixtes«), Schutzge-
nossen und Untertanen de facto – alles Rechtsformen, die sich entweder aus alten Feu-
dalverfassungen oder aus völkerrechtlichen Verträgen ableiteten39
– bis zum Ende der
Monarchie einer allgemeinen und gleichen Staatsbürgerschaft, die spätestens mit dem
Staatsgrundgesetz vom Dezember 1867 hätte durchgesetzt werden sollen, entgegen.
Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom
Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation
Der Status der Juden in den österreichischen Ländern war seit dem Mittelalter ein
durch Ungleichheit und Differenz gekennzeichneter. Ihre Ansässigkeit in den einzel-
nen Ortsgemeinden wurde durch Schutzbriefe und Judenordnungen geregelt, Son-
derrechte, die in je verschiedener Weise privilegierten und diskriminierten. So stellte
etwa das Privileg Kaiser Friedrichs II. vom August 1238 die Juden Wiens – damals
reichsunmittelbare Stadt – unter seinen Schutz und als »seine Kammerknechte« di-
rekt unter die Hoheit der kaiserlichen Finanzkammer.40 Inhaltlich glich es einem
zwei Jahre zuvor erlassenen allgemeinen Privileg für die Juden des Heiligen Römi-
schen Reiches. Auch für die Wiener Juden galten somit die im Sachsenspiegel (und
teilweise im Schwabenspiegel) aufgezeichneten Rechtsnormen.41 Als bald darauf der
Babenberger Herzog Friedrich II. (der Streitbare) die rebellierende Stadt wieder un-
ter seine Herrschaft brachte, stellte er das alte leopoldinische Stadtrecht wieder her
und erließ noch am selben Tag, dem 1. Juli 1244, eine neue Judenordnung, das so-
genannte »Fridericianum«, das zum Vorbild für die meisten der späteren Judenord-
nungen werden sollte.42 Wie in einem Geschäftskontrakt wurden darin Leistungen
38 Status, der aus dem Erwerb eines landtäflichen Gutes mit nachfolgender Einschreibung in die stän-
dische Landtafel (Habilitation zu Lande) folgte.
39 Burger, Staatsbürgerschaft, in : Grenze und Staat, S. 103.
40 Abgedruckt in : Eveline Brugger/Birgit Wiedl : Regesten zur Geschichte der Juden im Mittelalter,
Bd. 1 (Innsbruck/Wien/Bozen 2005), Nr. 20. Ein Jahr zuvor, 1237, hatte Friedrich II. in einem
eigenen Patent bestimmt, dass die Juden in Wien keine Ämter bekleiden sollen. Ebenda, Nr. 17.
41 Siehe dazu : Lohrmann, Juden im Mittelalter, S. 36ff.
42 Vgl. Kurt Schubert : Die Geschichte des österreichischen Judentums (Wien/Köln/Weimar 2008),
S. 25.
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Untertitel
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Autor
- Hannelore Burger
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271