Seite - 146 - in Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
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Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung
während der NS-Herrschaft
Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich
Seit dem Rücktritt der Regierung Schuschnigg in den Abendstunden des 11. März
1938 und dem am nächsten Tag erfolgten Einmarsch der deutschen Armee – von
einem Großteil der Bevölkerung enthusiastisch begrüßt – hatte Österreich als Staat
aufgehört zu existieren. Mit einer Fülle von Erlässen, Verordnungen und Gesetzen
seitens der neuen nationalsozialistischen Machthaber wurde in den nächsten Wo-
chen und Monaten der am 13. März von Hitler verkündete »Anschluss« Österreichs
an das Deutsche Reich auch administrativ vollzogen (ein Prozess, der erst mit dem
»Ostmarkgesetz« vom 1. Mai 1939, mit dem die letzten österreichischen Zentral-
stellen aufgelöst wurden, abgeschlossen war).520 Für die jüdischen Staatsbürger und
Staatsbürgerinnen jedoch begann noch am Tage des »Anschlusses« mit Verhaftungen,
Folter, Entlassungen aus dem Staatsdienst, Wohnungsverweisungen und Beraubun-
gen eine Zeit unendlicher Demütigungen. Wer aber überhaupt als Jude gelten sollte,
das war in diesen Tagen des Terrors und der wilden »Arisierungen« noch nicht klar.
»Ein Jude kann nicht Reichsbürger sein. Ihm steht ein Stimmrecht in politischen
Angelegenheiten nicht zu ; er kann ein öffentliches Amt nicht bekleiden«, heißt es in
der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz, die in Österreich am 20. Mai 1938,
zweieinhalb Monate nach dem »Anschluss«, zusammen mit den übrigen »Nürnber-
ger Gesetzen« : dem Reichsbürgergesetz und dem »Gesetz zum Schutze des deut-
schen Blutes und der deutschen Ehre«, kundgemacht wurde.521 Das Reichsbürger-
520 Die letzten österreichischen Behörden wurden bis 31. März 1940 aufgelöst. Artikel I des Gesetzes
über die »Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich« vom 13. März 1938 lautet :
»Österreich ist ein Land des deutschen Reiches«. Zit. nach : Emmerich Tálos : Von der Liquidie-
rung der Eigenstaatlichkeit zur Etablierung der Reichsgaue der »Ostmark«. Zum Umbau der poli-
tisch-administrativen Struktur, in : Emmerich Tálos et al. (Hg.) : NS-Herrschaft in Österreich. Ein
Handbuch (Wien 2000), S. 55–72, hier : S. 56. Zu den innen- und außenpolitischen Implikatio-
nen des »Anschlusses« siehe den Symposiumsband : Gerald Stourzh/Birgitta Zaar (Hg.) : Österreich,
Deutschland und die Mächte. Internationale und Österreichische Aspekte des »Anschlusses« vom
März 1938 (Wien 1990).
521 Gesetzblatt für Österreich 1938/150. Zur Durchführung der »Nürnberger Gesetze« in Österreich
vgl.: Burger/Wendelin, Staatsbürgerschaft und Vertreibung, S. 283ff. Allgemein zu den »Nürnber-
ger Gesetzen« siehe : Joseph Walk/Robert M.W. Kemper : Das Sonderrecht für die Juden im NS-
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Untertitel
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Autor
- Hannelore Burger
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271