Seite - 132 - in Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
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Theorie und Praxis von Heimatrecht und
Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik
Ein grundlegendes – in demokratischen Staaten heute selbstverständliches – Recht
eines jeden Staatsbürgers und einer jeden Staatsbürgerin ist das allgemeine, gleiche,
direkte und geheime Wahlrecht. Verwirklicht wurde es in Österreich – nun auch
für Frauen
– in der am 12. November 1918 ausgerufen Republik. Das am gleichen
Tag erlassene »Gesetz über die Staats- und Regierungsform Deutschösterreichs« sah
vor, die Wahlordnungen für das Parlament sowie alle Körperschaften auf Landes-,
Kreis-, Bezirks- und Gemeindeebene nach dem Prinzip des »allgemeinen, gleichen,
direkten und geheimen Stimmrecht aller Staatsbürger ohne Unterschied des Ge-
schlechts« einzurichten.471 In der Folge wurde der Kreis der Wähler stark erweitert,
indem erstens das Wahlalter von bisher 24 Jahren auf 20 Jahre gesenkt wurde (um
Soldaten, die im Ersten Weltkrieg gedient hatten, die Möglichkeit politischer Par-
tizipation zu geben) und zweitens nun auch Frauen das Wahlrecht, und zwar das
aktive wie das passive, gewährt wurde.472 Als am 16. Februar 1919 die Wahlen zur
konstituierenden Nationalversammlung stattfanden, konnten von ihrem Wahlrecht
grundsätzlich nun alle Männer und (erstmals) Frauen jüdischen Bekenntnisses
Gebrauch machen. Voraussetzung für die Ausübung des Wahlrechts allerdings war
der Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft und der blieb vielen der sich im
Staatsgebiet der neuen Republik aufhaltenden Juden und Jüdinnen aus nachstehen-
den Gründen vorbehalten.
Als die österreichisch-ungarische Monarchie am Ende des Ersten Weltkrieges zu-
sammenbrach, bedeutete das für Millionen von Menschen den Verlust ihrer Staats-
bürgerschaft. Für Juden und Jüdinnen sollte der Weg zur Erlangung einer neuen
Staatsbürgerschaft in einem der Nachfolgestaaten ein häufig langwieriger und mü-
hevoller Prozess werden. Nicht selten endete er in der Staatenlosigkeit. War das
Staatsbürgerschaftsrecht der Monarchie
– wie komplex und unübersichtlich es auch
immer gewesen sein mag – vom Prinzip einer supra-ethnischen Neutralität geprägt
471 StGBl. Nr. 5/1918.
472 Vgl. Birgitta Bader-Zaar, Einführung des Frauenwahlrechts in Österreich, www.demokratiezentrum.
org. Kathleen Canning spricht – allerdings mit Bezug auf die Weimarer Republik – vom Frauen-
wahlrecht als einem »gift to woman from revolution«. Kathleen Canning : »Bodies and Citi zenship«,
Beitrag zur Konferenz : »The Stakes of Citizenship : Bodies in the Aftermath of War and Revolu-
tion«, 1. April 2011, www.youtube, Kathleen Canning.
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Untertitel
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Autor
- Hannelore Burger
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271