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REISEBERICHT
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gräbern aufgestellt werden. Erst danach konnten sie
auch skulptiert werden.
Etliche dieser Stelen, insbesondere die jüngeren, stel-
len detailgetreu Hochhäuser dar, die über die volle
Höhe mit Fenstern, samt ihren Teilungen, Jalousien und
ihrem Dekor, mit ihren Anschlüssen an die jeweilige
Wandkonstruktion und mit den konstruktiven Details
der Wandkonstruktion selbst, mit den vortretenden
Deckenbalken in allen Stockwerken und meist mit
Eckrisaliten ausgestattet dargestellt sind. Sie zeigen
die Hochhausarchitektur ihrer Vorbilder bis ins Detail.
Es dürfte sich bei diesen Stelen um die Darstellung
von Geschlechtertürmen für die Verstorbenen aus den
jeweiligen Königsgroßfamilien, um überdimensionale
Totenhochhäuser handeln.
Eine Ähnlichkeit zwischen den axumitischen Stelen
und den Hochhäusern in Schibam besteht nur darin,
dass man hohe Geschlechtertürme baute, einmal für
die Lebenden in Schibam, das andere Mal für die
Toten in Axum. Archäologen vermuten aber, dass
die hoch aufragenden, monolithischen, axumitischen
Steinstelen möglicherweise die Hochhäuser von Schi-
bam oder von anderen historischen jemenitischen Or-
ten wie Hadjara darstellen – Orte, die ich zum Teil
erst später besucht habe und besprechen werde. Die
Hochhäuser von Schibam bestehen allerdings aus
massiven Lehmmauern und Holzbalkendecken und
dürften wohl auch in der Vergangenheit in dieser Art
konstruiert worden sein. Archäologen vermuten eine
Bautradition von ca. 2000 Jahren.
In den Rundumreliefs der drei zuletzt aufgestellten Hoch-
hausstelen von Axum werden Hochhäuser mit allen
konstruktiven Details dargestellt, von denen man weiß,
dass sie völlig anders konstruiert waren als die Hoch-
sehen werden können (Schlegel 1963:17). Schlegel
schreibt von insgesamt 7000 Jahren überschaubarer
Kulturgeschichte der Türschlösser (Schlegel 1963:12).
So fand man bereits ein sogenanntes „Hethitisches
Schloss“ aus der Zeit um 2500 v. Chr. bei den He-
thitern. Nach der Erfindung der Legierung von Zinn
und Kupfer zur deutlich härteren Bronze wurde dieses
Schloss bereits in diesem Material als Fallenschloss
ausgeführt, bei dem man mit einem ankerförmigen
Schlüssel durch eine schlitzförmige Öffnung das in-
nen angebrachte Schloss erreichen musste, um in ent-
sprechende Vertiefungen bei den Fallen einhaken zu
können und um diese so aus dem Verschluss heben
zu können (Schlegel 1963:20). Selbst in China gab
es ähnlich konstruierte Holzschlösser schon sehr früh.
Schlegel vermutet eine Parallelerfindung. Ich vermute
eher einen Techniktransfer über eine frühe Version der
“Seidenstraße“. Es gibt auch viele andere Erfindun-
gen, wie beispielsweise Wassermühlen, die sowohl
im mediterranen Raum anzutreffen sind und ebenso
entlang der Seidenstraße, die bis ins Detail mit die-
sen übereinstimmen (Hohmann 2012:104; Kostka/
Kuschel 2009:240-242). Das sind sicher nicht alles
Parallelerfindungen.
In Axum im afrikanischen Äthiopien, das eng mit den
Kulturen des alten Jemen verbunden war, wurden in
der Zeit um das 1. bis 3. Jh. n. Chr. monumentale, bis
zu über 33 m hohe monolithische Stelen mit einem
Gewicht von geschätzten 517 Tonnen hergestellt. Sie
waren damit schwerer als die schwersten und höher
als die höchsten Obelisken im alten Ägypten. Die
Rohlinge mussten etwa 7 km weit vom Steinbruch bis
zum Gräberfeld transportiert und dort über eine Ram-
pe bis auf etwa die halbe Höhe ihrer eigenen Länge
gezogen und dann durch ein kontrolliertes Kippen
in eine vertikale Lage gebracht und auf den Königs- Abb. 100
Dieser Längsschnitt zeigt noch-
mals das Prinzip der Fallen
im Schlosskörper. Heutige aus
Metall gefertigte Schlösser
machen sich nicht mehr von
der Schwerkraft abhängig,
sondern verwenden für die Be-
wegung der Fallen kleine Me-
tallfedern. Sonst hat sich aber
an der Mechanik der mehr als
2000 Jahre nachweisbaren
Verschlusstechnik bis ins 20.
Jh. wenig geändert (Hohmann
2012:215 Abb. SCHL3.2).
Jemen
Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Titel
- Jemen
- Untertitel
- Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Autor
- Hasso Hohmann
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-670-3
- Abmessungen
- 20.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 308
- Schlagwörter
- Vorderasien, arabische Halbinsel, Sanaa, Aden, Architektur
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkungen 7
- Einige Tage Ägypten 17
- Reise durch den Jemen 29
- Altstadt von Sanaa 33
- Kleidung von Männern und Frauen 42
- Die leichte Droge Kat 56
- Marib 60
- Die Salayman Ibn Dawud Moschee 73
- Säulen und ihre Kapitelle 74
- Flug ins Wadi Hadramaut 78
- Wasserhäuser 84
- Tarim 86
- Türen und ihre hölzernen Fallenschlösser 93
- Vergleich mit Türschlössern auf Tinos 100
- Mausoleum in Al Ghurfa 107
- Schibam 108
- Seiyun 124
- Auskragungen und Vorspanneffekte 133
- Hureida 139
- Hadjarein 142
- Chrecher 142
- Sif 144
- Bienenhaltung in Amphoren 152
- Al Mukalla 157
- Fahrt nach Aden 165
- Aden 168
- Taiz 175
- Saada 195
- Schahara 202
- Fahrt nach Sanaa 209
- Amran 209
- Thulla 213
- Kaukaban 218
- Kuchlan 224
- Al Qurazihah, ein Kral der Tihama 229
- Hodeida 233
- Zabid 236
- Hadjara 242
- Rauda 249
- Baynun 254
- Zurück entlang des Roten Meeres 268
- Siedlungsformen 273
- Bauformen 277
- Architekturdetails 287
- Apendix