Seite - 16 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Bild der Seite - 16 -
Text der Seite - 16 -
der Literaturkritik habe durchsetzen können. Obgleich mit Christel Terhorst
zu konstatieren ist, dass „der Aufstieg Handkes zu höchster literarischer Pro-
minenz“ „[o]hne die lebhafte und andauernde Resonanz in der Tageskritik
[…]
nicht denkbar gewesen wäre“,14 wurde der früh auch ökonomisch erfolgreiche
und weit über den engeren Bereich des Literarischen hinaus bekannte Autor von
der Kritik mitunter „hart hergenommen“.15 Manche Journalistinnen und Leser-
briefschreiber hegten die Überzeugung, der shooting star des Literatur betriebs
habe nur mit der Schützenhilfe des Feuilletons „hochkommen“ können,16 das
seiner kalkulierten Selbstinszenierung als Outsider des Literaturbetriebs auf den
Leim gegangen sei. „Handkes Image“ beruhe, so Peter Hamm, in den 1960er
Jahren einer seiner vehementesten Kritiker, „primär darauf, daß er es versteht,
als Außenseiter aufzutreten – ohne einer zu sein; wäre er einer, fände er gewiß
kein Forum für seinen Auftritt.“ 17
Schon in den ersten Jahren von Handkes schriftstellerischer Karriere standen
sich ablehnende und euphorische Stimmen diametral gegenüber, wobei die spe-
zifisch literarische Ambition seiner Arbeiten mitunter in den Hintergrund trat,
aber umso vehementer gegen die Positionen des anderen Lagers agitiert wurde
(s. Kap. II). „Indem man ihn verriß oder beweihräucherte, wurden zugleich
unterschwellig Positionskämpfe in der Literaturkritik ausgetragen.“ 18 Das Bild,
das man sich von seiner Arbeit gemacht habe, sei, wie Handke wiederholt fest-
gehalten hat, von Anfang an ganz wesentlich von den Urteilen der Literaturkritik
beeinflusst und damit in gewisse Bahnen gelenkt worden, was nicht selten die
Lektüre der Texte selbst ersetzt habe: „Ich bin sicher, daß niemand es liest“, so
der Autor 1973 mit Blick auf seinen sieben Jahre zuvor erschienenen Debütroman
14 Christel Terhorst: Peter Handke. Die Entstehung literarischen Ruhms. Die Bedeutung der lite-
rarischen Tageskritik für die Rezeption des frühen Peter Handke. Frankfurt a. M. u. a.: Lang
1990, S. 244.
15 Volker Hage: Warum nicht wie Balzac? Peter Handkes Die Geschichte des Bleistifts und Phan-
tasien der Wiederholung. In: The German Quarterly 63 (1990), S. 412 – 420, hier S. 412.
16 So ein Leserbrief von Dr. Hermann Stolz: Böses Ende. In: Der Spiegel, Nr.
24, 8. 6. 1970, der vor
allem die „Halb- und Ganzlinks-Gazetten“ dafür verantwortlich macht.
17 Peter Hamm: Der neueste Fall von deutscher Innerlichkeit: Peter Handke. In: konkret, Nr. 12,
2. 6. 1969, S. 42 – 45, hier S. 42.
18 Manfred Durzak: Peter Handke und die deutsche Gegenwartsliteratur. Narziß auf Abwegen. Stutt-
gart u. a.: Kohlhammer 1982, S.
13. Durzak stellte dieses Schema des „Freund-Feind-Denken[s]“
indes auch bei Handke selbst fest: Literaturkritik nehme der Autor lediglich „in Kategorien von
grundsätzlicher Zustimmung oder Verrat“ wahr (ebd., S. 13 f.). – Handke hat Durzaks stellen-
weise polemische Abrechnung mit Werk und Person des Autors mit einiger Verwunderung zur
Kenntnis genommen: Durzak sei, so Handke 1988 im Gespräch mit André Müller, „einer von
diesen Winkelschreibern, die schwerhörig sind vom Echo der anderen. Also das hat mich schon
leise gewundert, denn es gehört doch eine gewisse kriminelle Energie dazu, das zu können.“
(André Müller: Im Gespräch mit Peter Handke. Weitra: Bibliothek der Provinz 1993, S. 90)
„Schreiben ist ein Fünfkampf“: Eine Art
Einleitung16
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471