Seite - 36 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Avantgardeâ am Tonhof schlieĂlich noch einmal explizit gegen seinen frĂŒheren
Freund und Förderer Gerhard Lampersberg wenden. Eine gerichtliche Ausei-
nandersetzung und ein kurzfristiges Verbot der Auslieferung von HolzfÀllen in
Ăsterreich war die Folge.
Könnte Bernhards Intervention in der Wochenpresse mit Gérard Genette
noch als eine jener âGegendarstellungenâ gelten, die dann âlegitimâ sind, âwenn
sie auf als verleumdend empfundene oder auf mangelhafter LektĂŒre beruhende
Kritikenâ reagieren,38 trifft dies auf seine am 29. Mai 1967 im Spiegel veröffent-
lichte Leserbriefreplik jedenfalls nicht zu:
Mein nĂ€chstes Buch lassen Sie bitte gleich von einem natĂŒrlich auch in Oberösterreich
geborenen oder ansÀssigen Schimpansen oder Maulaffen besprechen.
Ohlsdorf (Ăsterr.)
Thomas Bernhard (TBW 22.1, 633)39
Einen knappen Monat zuvor hatte der österreichische Schriftsteller Herbert
Eisenreich im Spiegel Bernhards zweiten Roman Verstörung zumindest ambiva-
lent besprochen: Zwar gehöre, so Eisenreich, der erste Abschnitt des Bandes âin
jede Muster-Sammlung moderner deutscher Prosaâ und stelle eine âglĂ€nzend
gelungene[Â ] Einstimmung in die Thematikâ universellen menschlichen Leides
dar, der zweite, mit âDer FĂŒrstâ ĂŒberschriebene Teil des Romans jedoch enttĂ€u-
sche die Erwartungen des geneigten Lesers. Der Rezensent konstatiert in Ver-
störung einen âantirationale[n]â, âantizivilisatorische[n]â und âantiurbane[n]
Affektâ, der âim politischen Bereich die Wurzel jedes (grĂŒnen, braunen, roten
oder sonstigen) Totalitarismusâ darstelle 40Â
â ein Vorwurf, der die Rezeption von
Bernhards BĂŒchern in der Folge dauerhaft begleiten sollte:
Es wimmelt in diesem Buch von (noch dazu völlig unmotivierten) Invektiven gegen
Idee und RealitÀt des demokratisch organisierten Staates, die sich von denen gewisser
ahistorisch denkender bundesdeutscher Jungdichter nur durch das bessere Deutsch
unterscheiden. Mit Thomas Bernhard ist inmitten der dezidiert urbanen Literatur
Ăsterreichs wieder einmal der Urwald ausgebrochen.41
38 Genette: Paratexte (Anm. 34), S. 338.
39 Vgl. dazu noch Bernhards Brief an Karl Ignaz Hennetmair vom 4. 5. 1968: âDie Sache ist die,
dass ich in Ohlsdorf vernarrt bin. Auch in Ăsterreich, aber alles ist nur von Affen bevölkert.
Marke Orang-Utan.â (Thomas Bernhard/Karl Ignaz Hennetmair: Ein Briefwechsel. 1965 â 1974.
Kommentiert v. Peter Bader in Zusammenarbeit mit K. I. H. Weitra: Bibliothek der Provinz
1994, S. 115)
40 Herbert Eisenreich: Irrsinn im Alpenland. Ăber Thomas Bernhard: Verstörung. In: Der Spiegel,
Nr. 19, 1. 5. 1967, S. 164 â 166, hier S. 164.
41 Ebd.
âich kann mich damit schwer abfindenâ: Kritik der Kritik als
Werkpolitik36
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471