Seite - 60 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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charakteristische Frontstellung: Hans Christoph Buch â der einige Monate vor
seiner Hausierer-Kritik F. C. Delius um die Zusendung von âMao-Bibelnâ bat,
weil dieser in London dazu leichter Zugang hatte 144Â â vertritt dabei die Position
einer linken Kulturkritik im Umkreis der Studentenbewegung, der Handke
Ende 1968 in der ZEIT vorwerfen sollte, allein durch die sprachliche Machart
ihrer Stellungsnahmen âDenkkrĂ€mpfeâ 145 zu verursachen. Auf Buchs VorwĂŒrfe
reagiert Handke nicht nurÂ
â wie im Fall seines Konflikts mit Peter HammÂ
â mit
der SchÀrfung seiner Argumentation, sondern auch mit dem ironischen Einge-
stĂ€ndnis, bislang âlâart pour lâart produziertâ,146 ja sich auf einem literarischen Irr-
weg befunden zu haben: ein wirkungsvolles rhetorisches Verfahren, das Peter von
Matt in seiner Charakterisierung literarischer Polemiken als âsubtile[s] GefĂŒge
der wechselnden Tonartenâ beschrieben hat.147 Seine AnkĂŒndigung, kĂŒnftig âein
anderes Vokabular [zu] gebrauchenâ,148 ist dabei weniger als Diskussionsangebot
und ZugestĂ€ndnis an Buch im Sinne einer âwirkliche[n] Kommunikationssitua-
tionâ zu verstehen; vielmehr richtet sie sich zuallererst an ein Publikum, an eine
literarische Ăffentlichkeit: âZiel ist nicht, daĂ der Angegriffene seine Meinungen
ĂŒberprĂŒfe, sondern daĂ der Leser sein Verhalten dem Angegriffenen gegenĂŒber
verĂ€ndert.â 149 Handkes zwischen wĂŒtendem Protest und Ironie changierende
Repliken auf die VorwĂŒrfe von Hamm und Buch waren dabei Teil jener âvehe-
mente[n] Gegenkritik pro domoâ,150 die seine zu dieser Zeit bereits betrĂ€chtliche
mediale Resonanz noch weiter verstÀrkte.
Auf die Rezension seiner ErzÀhlung Die Angst des Tormanns beim Elfmeter in
der ZEIT vom 24.Â
April 1970 antwortete Handke drei Wochen spÀter mit einem
Leserbrief, in dem er die Besprechung von Marianne Kesting als âahnungs-
los und achtlosâ bezeichnete 151 und sich in der Folge zu einer âRichtigstellung
144 Vgl. Delius: Als die BĂŒcher noch geholfen haben (Anm. 78), S. 66. Wenig spĂ€ter nahm Buch
jedoch von der radikalen Politisierung der frĂŒhen Jahren Abstand, wie etwa in seinem Aufsatz
Von der möglichen Funktion der Literatur im Kursbuch (Nr.Â
20 [1970], S.Â
42 â 52) zum Ausdruck
kommt; vgl. dazu auch Marmulla: Enzensbergers Kursbuch (Anm. 97), S. 196 f.
145 Handke: Totgeborene SÀtze (Anm. 121).
146 Handke: Charakter-Studie (Anm. 143).
147 von Matt: Grandeur und Elend literarischer Gewalt (Anm. 1), S. 39.
148 Handke: Charakter-Studie (Anm. 143).
149 von Matt: Grandeur und Elend literarischer Gewalt (Anm. 1), S. 42.
150 Lorenz: Die Ăffentlichkeit der Literatur (Anm. 26), S. 195.
151 Peter Handke: Peter Handke und der Monteur. In: DIE ZEIT, Nr. 20, 15. 5. 1970; die Rezension
von Marianne Kesting erschien unter dem Titel: Mord und Verfolgung. Ein umfunktionierter
Kriminalroman von Peter Handke. In: DIE ZEIT, Nr.Â
17, 24. 4. 1970. Vgl. zu dieser Kontroverse
ausfĂŒhrlich Norbert Christian Wolf: âDie beginnende Schizophrenieâ eines Tormanns. Handkes
ErzÀhlung und die Pathographien aus Klaus Conrads Gestaltanalyse des Wahns. In: Schreiben
als Weltentdeckung (Anm. 30), S. 165 â 200, bes. S. 187 â 190.
âich kann mich damit schwer abfindenâ: Kritik der Kritik als
Werkpolitik60
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471