Seite - 92 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Bild der Seite - 92 -
Text der Seite - 92 -
Waren in der sozialistischen Arbeiter-Zeitung, in den Oberösterreichischen Nach-
richten undÂ
â der einzig wirkliche VerrissÂ
â in der Klagenfurter Neuen Zeit auch
kritische Stimmen zu vernehmen, ĂŒberwog doch eindeutig das Wohlwollen fĂŒr
den jungen Schriftsteller. Selbst konservative Kritiker wie Josef LaĂl lobten, trotz
Skepsis gegenĂŒber der formalen Gestaltung, den âtiefen sittlichen Ernstâ des Tex-
tes.101 â[M]an wird sich seinen Namen merken mĂŒssenâ 102Â â darĂŒber waren sich
beinahe alle Rezensenten in österreichischen Tageszeitungen und Zeitschriften
einig, so auch Claus Pack in seiner ausfĂŒhrlichen Besprechung in der Wiener
Presse, die Bernhard, geht man nach einem Brief an Peter SchĂŒnemann,103 selbst
angeregt hatte:
In diesem ersten Roman beweist Thomas Bernhard eine vielversprechende epische
Begabung. Das Wechselspiel von Reflexion und dramatischem Geschehen in der inne-
ren Form des Buches, das in der Ă€uĂeren die Entwicklung seines Helden nachzeichnet,
den Knoten schĂŒrzt, verdichtet und löst, verrĂ€t einen Schriftsteller, der sich ernste
Gedanken ĂŒber Formprobleme und sein Metier macht. [âŠ] Die unbezweifelbare
Kraft und wilde Musik, die aus diesem Roman strömen, die Bildwelt, die eindring-
lich haften bleibt, und das Ethos, das aus ihm spricht, lassen von Thomas Bernhard
in der Zukunft entscheidendes erwarten.104
Dass man von solchen positiven, ja aufmunternden Reaktionen in Meine Preise
nichts liest, ist weniger der unvollstÀndigen Erinnerung Bernhards als viel-
mehr der Stilisierung seines autobiographischen Narrativs geschuldet. Dieses
entwirft die Etablierung des Autors im literarischen Feld als Kampf gegen den
beharrlichen Widerstand eines reaktionÀren Kulturbetriebs. Die Siegfried Unseld
in Aussicht gestellte ErgĂ€nzung seiner Autobiographie durch die BĂ€nde âDer
101 Josef LaĂl: Thomas Bernhard: Frost. In: Ăsterreichischer Rundfunk. Radio Salzburg, 8. 2. 1964
[Rundfunkmanuskript im Siegfried-Unseld-Archiv]. Womöglich stammt auch die anonym
erschienene Besprechung in den Oberösterreichischen Nachrichten vom 6. 7. 1963 von LaĂl,
da hier ebenso vom âsittlichen Ernstâ und einem noch nicht vollends ausgereiften âforma-
le[n] Könnenâ die Rede ist und LaĂl regelmĂ€Ăig als Rezensent fĂŒr die Zeitung tĂ€tig war. â Zu
Bernhards langjĂ€hriger Bekanntschaft mit LaĂl vgl. Kap. VI, Abschnitt ââzuchtvoll und klarâ:
Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblattâ.
102 wj: Thomas Bernhard: Frost. In: Ăsterreichisches Kulturwort. Zeitschrift fĂŒr Kultur und Wissen
(Februar 1964), [unpag.].
103 Vgl. den Brief von Thomas Bernhard an Peter SchĂŒnemann, 2. 2. 1963. In: Botond: Briefe an
Thomas Bernhard (Anm. 98), S. 13, Anm. 1, in dem Bernhard den Verlagsmitarbeiter um die
Zusendung von Frost-âLeseexemplare[n]â nicht nur an Gerhard Fritsch, Carl Zuckmayer und
Wolfgang Kraus, sondern eben auch an Claus Pack bittet. Bernhard kannte Pack wohl schon aus
den 1950er Jahren; jedenfalls nennt er ihn in einem 1956 erschienenen Beitrag als talentierten
Buchillustrator (vgl. TBW 22.1, 564).
104 Claus Pack: BewÀltigung des Vergangenen. In: Die Presse, 13. 7. 1963.
Unfreundliche Betrachtungen: EinwÀnde gegen die
Literaturkritik92
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471