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Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Am Ende wiederholt Bernhard den bereits zuvor lancierten Vorwurf an die Kri- tiker, durch die fortwĂ€hrende Diagnose einer „DĂŒrre“ des Theaters im Grunde nur ihre eigene Legitimation als Kritisierende festigen und bestĂ€tigen zu wollen, und fordert die Leser seiner Polemik dazu auf, ihnen nicht allzu viel Gehör zu schenken: „Die Bauern und die sogenannten Landwirte und die Theaterkritiker und die sogenannten Kritiker ziehen (siehe Kerr und Musil!) am gleichen Strang: an der DĂŒrre. Und wenn sie nicht gestorben sind, ziehen sie noch daran. Laßt sie ziehen!“ (TBW 22.1, 614)196 Nicht nur diese letzte sprachspielerische Volte, die an die Schlusspointen eines Karl Kraus erinnert,197 zeigt, dass Bernhards Diskussionsbeitrag  – wie auch andere polemische Texte des Autors  – der formalen PoetizitĂ€t gegenĂŒber der Stringenz der Argumentation den Vorrang einrĂ€umt. Die „Wörter und ihre Zusammenset- zung, ihre Bedeutung, ihre Ă€ußere und innere Form“ sind, mit Roman Jakobson gesprochen, „nicht nur indifferenter Hinweis auf die Wirklichkeit“, sondern sie haben „eigenes Gewicht und selbstĂ€ndigen Wert“.198 Als „Wortkunstwerk[e]“ 199 sind Bernhards Polemiken stets â€šĂŒberstrukturiert‘, gehen weit darĂŒber hinaus, MissstĂ€nde zu benennen und Gegner zu denunzieren. Sie sind  – auch und gerade dort, wo ihre konkrete Stoßrichtung oder ihre argumentative Substanz diffus bleibt  – Texte von eigenem Ă€sthetischem Wert, als polemische BeitrĂ€ge immer auch poetische Artefakte, wobei sich die beiden Aspekte nicht trennscharf von- einander scheiden lassen. 196 1984 hat Bernhard in einem GesprĂ€ch mit Krista Fleischmann das Bild von der ‚DĂŒrre‘ des Theaters affirmativ aufgegriffen, wenn er „WĂŒste und DĂŒrre auf dem Burgtheater“ beklagt: „Das Burgtheater ist ja wie so eine Sahelzone, wo alles dĂŒrr ist, ausgetrocknet, kaputt, und da gehen diese zwei [KĂ€the Gold und Paula Wessely] immer noch frei herum auf dieser toten WĂŒste.“ (TBW 22.2, 266) Im Laufe des GesprĂ€chs erweitert Bernhards das Bild auf komödiantische Weise: „Man geht hinein, man fahrt dort hin, man bucht quasi eine Safari im Burgtheater und geht hin, und es sind keine Tiere da, es wachst nichts, es brĂŒllt nichts, keine Giftschlangen, gar nichts, völlig leer. Da geht man wieder heraus und sagt, na ja also wenn’s nur WĂŒste ist, brauch’ ich ja nicht hingehen. Es ist wĂŒst und leer. Nur so manchmal hört man so alte Schreie von Schakalen, aber auftreten tun keine mehr dort.“ (TBW 22.2, 267) Schließlich greift Bernhards WĂŒsten- Verdikt auch auf die Salzburger Festspiele ĂŒber, wobei er die Entwicklung des Theater betriebs mit den VerĂ€nderungen von Vegetationszonen kurzschließt: „Na ja, Salzburg ist genauso eine WĂŒste. Es gibt ja in der Welt auch mehrere WĂŒsten, also gibt’s halt in Wien eine, und Salzburg, das wird auch immer mehr zur WĂŒste. Steppe ist es ja schon jahrzehntelang, und jetzt wird’s wahrscheinlich von der Steppe zur WĂŒste umkippen.“ (TBW 22.2, 267) 197 Vgl. exemplarisch Kraus’ Glosse, die im Rahmen seiner publizistischen Auseinandersetzung mit der Wiener Kriegsausstellung 1916 entstanden ist: Karl Kraus: Es zieht! In: Die Fackel (2. 8. 1916), H.  431 – 436, S.  109. 198 Roman Jakobson: Was ist Poesie. [1934] In: R. J.: Poetik. AusgewĂ€hlte AufsĂ€tze 1921 – 1971. Hg. v. Elmar Holenstein u. Tarcisius Schelbert. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1979, S.  67 – 82, hier S.  79. 199 Ebd. Unfreundliche Betrachtungen: EinwĂ€nde gegen die Literaturkritik116 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Titel
Strategen im Literaturkampf
Untertitel
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Autor
Harald Gschwandtner
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Abmessungen
15.7 x 23.9 cm
Seiten
482
Schlagwörter
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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