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in einer Besprechung von Reich-Ranickis Band Literatur der kleinen Schritte
(1967)Â
â also in der Rezension einer RezensionssammlungÂ
â zudem ausfĂŒhrlich
gegen dessen konkrete literaturkritische Praxis sowie dessen Status als vermeint-
liche Leitfigur der Literaturkritik im deutschsprachigen Raum. Seinem Freund
Alfred Kolleritsch lieà Handke den Artikel am 4. MÀrz 1968 zur Publikation
in den manuskripten zukommen: âIch schicke dir einen Text ĂŒber Reich-Ran.
mit, vielleicht kannst Du was anfangen, er wird im Westdeutschen Rundfunk
gesendet werden.â 12 Unter dem Titel Marcel Reich-Ranicki und die NatĂŒrlichkeit
erschien der Text im FrĂŒhjahr 1968 im 22. Heft der Zeitschrift, dasÂ
â die rĂ€umliche
NÀhe zu den Schreibweisen der österreichischen Avantgarde ist hier durchaus
signifikant â auch die letzte Folge von Oswald Wieners Romanprojekt die ver-
besserung von mitteleuropa enthielt, dessen fortschreitende Veröffent lichung in
den manuskripten den jungen Handke, ebenso wie die Arbeiten Konrad Bayers,
âstark beeindrucktâ hatte,13 obgleich er sich spĂ€ter den Vertretern der Wiener
Gruppe gegenĂŒber reservierter zeigte. Adolf Haslinger berichtet gar davon, dass
Handke Kolleritsch bei âKorrektur und Redaktionâ von Wieners die verbesse-
rung von mitteleuropa fĂŒr die Publikation in den manuskripten âstundenlangâ
unterstĂŒtzt hat.14
Reich-RanickiÂ
â Ende der 1960er Jahre Kritiker der ZEIT in HamburgÂ
â war
sowohl in der Gruppe 4715 als auch in den Diskussionen ĂŒber Rolle und Auf-
gabe der Literaturkritik immer mehr zu einer polarisierenden Figur geworden.
WĂ€hrend Autoren und Essayisten ganz unterschiedlicher politischer Couleur
seinen Erfolg als exemplarisches Symptom einer âMisere unserer Literaturkritikâ
12 Peter Handke an Alfred Kolleritsch, 4. 4. 1968. In: P. H./A. K.: Schönheit ist die erste BĂŒrger-
pflicht. Briefwechsel. Salzburg, Wien: Jung und Jung 2008, S. 21. Ăber eine Sendung des Bei-
trags im Westdeutschen Rundfunk ist in den vorliegenden Ausgaben des Textes nichts ver-
merkt; in einem weiteren Brief an Kolleritsch vom 20. 12. 1968 verweist Handke erneut auf die
vorherige Veröffentlichung im Rundfunk: âWas ich ĂŒber Reich-Ranicki und Thomas Bernhard
geschrieben habe, ist vorher auch schon entweder im Rundfunk oder in einer Zeitung gedruckt,
aber erst in den âmanuskriptenâ hat man davon gehört.â (Ebd., S. 23) Handkes Bemerkungen
zu Bernhards Verstörung jedenfalls wurden am 9. 10. 1967 im Format âKulturelles Wortâ im
Hessischen Rundfunk (Redaktion: Adolf Frisé) gesendet (vgl. den entsprechenden Beleg im
Siegfried-Unseld-Archiv, DLA Marbach, Handke Allg.).
13 Rolf G. Renner: Peter Handke. Stuttgart: Metzler 1985, S.Â
25; vgl. dazu Helmuth Kiesel: Geschichte
der literarischen Moderne. SpracheÂ
â ĂsthetikÂ
â Dichtung im zwanzigsten Jahrhundert. MĂŒn-
chen: C. H. Beck 2004, S. 459. Ob Wiener aber tatsĂ€chlich âHandkes Vorbildâ war, wie Ingrid
Gilcher-Holtey: 1968. Eine Zeitreise. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2008, S.Â
77, schreibt, halte ich
fĂŒr fraglich.
14 Adolf Haslinger: Peter Handke. Jugend eines Schriftstellers. Salzburg, Wien: Residenz 1992,
S. 118.
15 Vgl. Thomas Anz: Marcel Reich-Ranicki. MĂŒnchen: dtv 2004, S. 77 f.; Uwe Wittstock: Marcel
Reich-Ranicki. Die Biografie. MĂŒnchen: Blessing 2015, S. 174 â 176.
Princeton 1966 und die Folgen 145
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471