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der Kampfzone, seine extension du domaine de la lutte, hat ganz wesentlich dazu
beigetragen, dass der Grad der Animosität zwischen den Akteuren der beiden
Professionen in diesem Fall weiter über das übliche Maß hinausgeht.
Es bleibt indes unklar, ob Reich-Ranicki den camouflierten Angriff Hand-
kes in Die Lehre der Sainte-Victoire als solchen bereits 1980 zur Kenntnis
nahm. Die Rezensenten anderer Zeitungen grübelten über die „Funktion des
bösen Hundes“ in der Erzählung 184 und identifizierten ihn, wie Jürgen Jacobs
im Kölner Stadt-Anzeiger, mit dem ‚radikal Bösen‘;185 keiner von ihnen bezog
sich jedoch auf den polemischen Subtext der Puyloubier-Episode. Auch W. G.
Sebald, mit dem Handke in sporadischem Briefkontakt stand,186 behandelte
Mitte der 1980er Jahre in einem Essay die „Konfrontation mit dieser unsäg-
lichen Kreatur“, ohne die literaturbetrieblichen Implikationen der Episode zu
berühren. Den aggressiven Hund charakterisiert er „als das traditionelle Sym-
bol saturnischer Melancholie“,187 bezieht die Begegnung mit der Dogge also auf
ihre mythengeschichtliche und literaturhistorische Dimension, nicht auf den
Konflikt zwischen Handke und Reich-Ranicki.188 Darüber hinaus hat Sebald
erstmals auf die intertextuellen Bezüge des Kapitels „Der Sprung des Wolfs“
zu Dantes Divina Commedia hingewiesen, die zuletzt Claudia Albes im Detail
erläutert und aufgeschlüsselt hat.189
184 So Schäble: Vom Himmel durch die Welt zur Helle (Anm. 163), S. 214.
185 Vgl. Jürgen Jacobs: Lehren von der großen Harmonie des Daseins. Der Schriftsteller Peter
Handke auf dem Weg zum Landschaftsmaler. In: Kölner Stadt-Anzeiger, 2. 10. 1980.
186 Einige Briefe aus den Jahren 1983 bis 1991 finden sich in den Beständen des DLA Marbach.
187 W. G. Sebald: Helle Bilder und dunkle. Zur Dialektik der Eschatologie bei Stifter und Handke.
In: W. G. S.: Die Beschreibung des Unglücks. Zur österreichischen Literatur von Stifter bis
Handke. Salzburg, Wien: Residenz 1985, S. 165 – 186, hier S. 182.
188 Pütz: Peter Handke (Anm. 65), S. 114, beschreibt in seiner Handke-Werkbiographie 1982 die
„roheste Brutalität einer Hundebestie, deren maulaufreißendes, weltverschlingendes Brüllen
als Ausdruck äußerster Gefährdung ertönen muß – ein paar Seiten Handkescher Prosa übri-
gens […], die ihresgleichen in der deutschsprachigen Literatur der Gegenwart suchen.“ Auch
andere Germanistinnen und Germanisten nahmen von der verfremdeten Bezugnahme auf die
Handke/Reich-Ranicki-Fehde in der Lehre vorerst keine Notiz; Thomas K. Thornton: Die The-
matik von Selbstauslöschung und Selbstbewahrung in den Werken von Peter Handke. Frankfurt
a. M. u. a.: Lang 1983, S. 118, etwa liest sie lediglich als „Projektion der eigenen Innenwelt zum
objektiven Äußeren“.
189 Vgl. Sebald: Helle Bilder und dunkle (Anm.
187), S.
182 f.; Claudia Albes: Erzählen
– Argumen-
tieren – Beschreiben. Zur Theorie und Interpretation moderner Prosatexte am Beispiel von
Peter Handkes Lehre der Sainte-Victoire. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier 2013, S.
414 – 416.
Dazu schon die Andeutungen bei Hans-Ulrich Treichel: Auslöschungsverfahren. Exemplarische
Untersuchungen zur Literatur und Poetik der Moderne. München: Fink 1995, S. 217.
„Mein Feind in Deutschland“: Peter Handke vs. Marcel
Reich-Ranicki182
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471