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Sam Peckinpahs âunendlich schöne[m]â Film hatte Handke bereits zwei Jahre
zuvor einen subtilen und vieldeutigen Prosatext gewidmet, der zwar die filmische
Szenerie von Sacramento aufgreift und ânacherzĂ€hltâ, diese aber durch die EinfĂŒh-
rung einer ErzÀhlerfigur, durch Variationen und Adaptionen im Handlungsver-
lauf sowie die VerschrÀnkung von fiktionalen und fiktionsbrechenden Passagen
verfremdet: âEs war der Schauplatz ein felsiges Gebiet, zur VerfĂŒgung gestellt
vom Landwirtschaftsministerium der Vereinigten Staaten; die Luft flimmerte, der
Wind stieĂ gelben Sand ĂŒber die Steine.â 168 Die eigensinnige PrĂ€gung des Textes
ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass die Rezeptionshaltung des Kinobesuchers
mit dem Erleben einer innerhalb der Diegese wahrnehmenden Figur amalga-
miert wird, wie sich etwa am Beispiel der akustischen Untermalung einzelner
Szenen zeigen lĂ€sst: âJetzt verschwanden auch die alten MĂ€nner und wurden zu
Schatten. Die Musik schwoll an. Als jedoch die SchĂŒsse gefallen waren, brach sie
jÀh ab. Ich hörte sie erst wieder, nachdem mit gesenktem Haupt der andre alte
Mann hinter dem Mais hervorgekommen war.â 169 Vonseiten der linken Kultur-
kritik brachten Handkes Western-Texte ihm den Vorwurf ein, dass er, indem
er âWestern wie âDer Galgenbaumâ (mit Gary Cooper) oder âSacramentoâ (mit
Randolph Scott) minuziös nacherzĂ€hltâ, diesen âeben jenes befreiende Moment,
das sie auf dem Weg vom verhÀrteten Begriff zum sinnlichen Bild eroberten,
wieder raubtâ 170Â
â eine Deutung, die ganz im Widerspruch zu Handkes eigenem
Anspruch stand, die Filme gerade durch den erzÀhlerischen Nachvollzug auf
neue Weise zugÀnglich und erlebbar zu machen.
Der polemische Kommentar ĂŒber das âwie die Meerschweinchenâ bloĂ auf
âReizwörterâ reagierende, aber am âSEHENâ scheiternde Kino-Publikum geht,
ebenso wie die Besprechung der UrauffĂŒhrung von Bauers Magic Afternoon, von
Titel des Aufsatzes greift das Motto von Ădön von HorvĂĄths Geschichten aus dem Wiener Wald
auf. Die SĂŒddeutsche Zeitung druckte Handkes Polemik gegen die Nachtvorstellungsbesucher
in der Rubrik âGehört, gelesen, zitiertâ vollstĂ€ndig ab. Vgl. Peter Handke: Nachtvorstellung.
In: SĂŒddeutsche Zeitung, 17. 3. 1969.
168 Peter Handke: Sacramento (Eine Wildwestgeschichte). In: P. H.: BegrĂŒĂung des Aufsichts-
rats (Anm. 93), S. 84 â 92, hier S. 88. Vgl. auch die folgende Passage: âNeben dem Brunnen lag
gekrĂŒmmt Jim Borasso. Er wurde in dem Film dargestellt von Joel McCrea; der Darsteller des
anderen alten Mannes war Randolph Scott.â (Ebd., S. 92) Vgl. dazu jetzt Anna Estermann:
Mit(ge)lesen. Handkes Sacramento (Eine Wildwestgeschichte). In: Die tÀgliche Schrift. Peter
Handke als Leser. Hg. v. Thorsten Carstensen. Bielefeld: transcript 2019, S. 87 â 108; Herwig
Gottwald: Peter Handke und der Western. In: âDas Wort sei gewagtâ. Ein Symposium zum Werk
von Peter Handke. Hg. v. Attila Bombitz u. Katharina Pektor. Wien: Praesens 2019, S. 60 â 74.
169 Handke: Sacramento (Anm. 168), S. 92.
170 Peter Hamm: Der neueste Fall von deutscher Innerlichkeit: Peter Handke. In: konkret, Nr. 12,
2. 6. 1969, S.Â
42 â 45, hier S.Â
43. Zu Handkes Konfrontation mit Hamm Ende der 1960er Jahre vgl.
Kap.Â
II, Abschnitt âFronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffeâ. Auch der zweite von Hamm genannte
Text, Der Galgenbaum, erschien im Band BegrĂŒĂung des Aufsichtsrats (Anm. 93, S. 55 â 65).
âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 255
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471