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Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Artisten reden“,246 ebenso wie zu Robert Musils im gleichen Jahr publizierter Bemerkung ĂŒber Alfred Kerr, wonach „es ĂŒberhaupt bei allen Unterschieden keine bedeutende Kritik gibt, die nicht Dichtung wĂ€re“; der „Kritikerdichter[  ]“, so Musils Charakterisierung von Kerrs SelbstverstĂ€ndnis, sei ein „Mensch, der aus Dichtung wieder Dichtung, gedichtete Kritik macht“.247 Auf Novalis und Benjamin, insbesondere auf dessen Passagen-Werk, das eine wesentliche Grund- lage fĂŒr die ‚Schwellengeschichte‘ Der Chinese des Schmerzes (1983) bildete, hat sich Handke wiederholt berufen, wĂ€hrend er fĂŒr Musil und insbesondere fĂŒr den Mann ohne Eigenschaften kaum je besondere Sympathie gezeigt hat.248 Ohne Handke allzu forciert mit den zitierten Autoren in eine Genealogie der Reflexion ĂŒber die Grenzen von Literatur und Literaturkritik einordnen zu wollen, ist jedenfalls Folgendes festzuhalten: Auf den Vorwurf, als Kritiker nur seiner eigenen schriftstellerischen Agenda zu folgen, reagierte Handke mit dem Hinweis auf die Blindheiten auch ‚professioneller‘ Rezensenten. Zudem beharrte er darauf, als literarischer Autor eine besondere Ă€sthetische Kompe- tenz, eine SensibilitĂ€t fĂŒr die Faktur literarischer Texte zu besitzen, an der es den Berufskritikern mitunter mangle. Seine Reflexionen ĂŒber die Rolle der Kritik im literarischen Feld und ihre Verfahren berĂŒhren immer auch die Frage nach den Möglichkeiten ‚artistischer Kritik‘, zumal Handke deren zentrale Aufgabe  – mit Novalis’ emphatischer Formulierung  – durchaus darin sah, Leitlinien und Orientierungsmarken fĂŒr die zukĂŒnftige „Geschichte der Kunst“ vorzubereiten. Die literaturkritischen Arbeiten Handkes erweisen sich vor diesem Hintergrund 246 Benjamin: Einbahnstraße (Anm.  244), S.  108. Vgl. dazu etwa die Reflexionen ĂŒber „Elemente einer Theorie des Lesens nach Benjamin“ in Alexander Honold: Der Leser Walter Benjamin. BruchstĂŒcke einer deutschen Literaturgeschichte. Berlin: Vorwerk 8 2000, S.  14 – 51. 247 Robert Musil: Heute spricht Alfred Kerr. Ein PortrĂ€t des berĂŒhmten deutschen Kritikers. [1928] In: R. M.: Gesammelte Werke. Hg. v. Adolf FrisĂ©. Bd. II. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 2000, S.  1186 – 1188, hier S.  1188. 248 Vgl. Karl Wagner: Musil und Handke: kein Vergleich. In: Peter Handke. Freiheit des Schrei- bens  – Ordnung der Schrift. Hg. v. Klaus Kastberger unter Mitarb. v. Clemens Özelt. Wien: Zsolnay 2009, S.  294 – 305. Spuren dieser Aversion zeigen sich bereits im 1972 publizierten Gedicht Leben ohne Poesie: „Im ‚Mann ohne Eigenschaften‘ bin ich bis zu  / dem Satz gekom- men  / ‚Ulrich sah sich den Menschen an‘ / (Auch ‚den Menschen‘ meinte Musil  / verĂ€cht- lich) / da habe ich vor Ekel nicht weiterlesen können“ (Peter Handke: Leben ohne Poesie. [1972] In: P. H.: Als das WĂŒnschen noch geholfen hat [Anm.  43], S.  9 – 23, hier S.  13); in der Geschichte des Bleistifts greift Handke die Passage aus dem Mann ohne Eigenschaften noch einmal auf: „Nicht ‚Ich sehe mir die Leute an‘ (so ungefĂ€hr Musil), sondern: ‚Ich lasse sie, betrachtend, sein‘ (jedenfalls ist das mein Ideal)“ (Handke: Die Geschichte des Bleistifts [Anm.  73], S.  197). Die Stelle findet sich im 81. Kapitel von Musils Opus magnum: „Ulrich sah sich den Menschen an und wahrte Raum zwischen sich und ihm“ (Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Roman. Hg. v. Adolf FrisĂ©. Bd.  1. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1981, S.  349). Peter Handkes Gegenmodelle zur zeitgenössischen Literaturkritik270 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
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Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Titel
Strategen im Literaturkampf
Untertitel
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Autor
Harald Gschwandtner
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Abmessungen
15.7 x 23.9 cm
Seiten
482
Schlagwörter
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
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