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Während Peter Handke im Versuch über die Jukebox (1990) davon berichtet, er
habe die täglich und stundenlang in einem Lokal gehörten Lieder der Beatles
anfangs ohne Wissen um deren Interpreten gehört, mit einem „Staunen, das keine
Namens-Neugier kannte“,7 standen Bernhards Anfänge, angeleitet von seinem
Großvater, im Zeichen bedeutender Namen und ehrwürdiger Traditionen, die
für sein späteres Schreiben – obgleich er sich dabei mitunter auf bloßes name
dropping beschränkte 8 – von zentraler Signifikanz werden sollten: „Alle meine
Kenntnisse“, wird er 1975 in Die Ursache. Eine Andeutung, dem ersten Band der
autobiographischen Pentalogie, schreiben, „sind zurückzuführen auf diesen für
mich in allem lebens- und existenzentscheidenden Menschen, der selbst durch
die Schule Montaignes gegangen war, wie ich durch seine Schule gegangen bin.“
(TBW 10, 89) Nicht nur Bernhard selbst, sondern auch seine Protagonisten werden
„immer wieder auf herausragende Philosophen und ihre Sätze rekurrieren und
sie gewissermaßen als Anlaß des Schreibens in Anspruch nehmen“;9 der Groß-
vater steht dabei als Vermittlerfigur, genannt oder ungenannt, im Hintergrund.
In Johannes Freumbichlers Nachlass hat sich eine umfangreiche Sammlung
von annähernd 300 Gedichten mit dem Titel Erziehung zu Vernunft und Fröh-
lichkeit erhalten. Anfang 1946 begonnen, wurde sie Ende Oktober 1948, gut drei
Monate vor dem Tod Freumbichlers am 11. Februar 1949, beendet.10 Die darin
enthaltenen Texte, von denen bislang nur eine kleine Auswahl publiziert vor-
liegt, waren als Lehrgedichte konzipiert, die der Großvater dem Enkel zu des-
sen 18. Geburtstag mit auf den Lebensweg zu geben beabsichtigte: „Geliebter
7 Handke: Versuch über die Jukebox (Anm.
5), S.
89. Vgl. dazu Clemens Peck: „Schall und Wahn“.
Andere Orte der Erinnerung in Peter Handkes Versuch über die Jukebox. In: High und low. Zur
Interferenz von Hoch- und Populärkultur in der Gegenwartsliteratur. Hg. v. Thomas Wegmann
u. Norbert Christian Wolf. Berlin, Boston: de Gruyter 2012, S. 97 – 119; Karl Wagner: Handkes
Versuch über die Jukebox. In: Figurationen 14 (2013), H. 1, S. 65 – 74; Alexander Honold: Der
Erd-Erzähler. Peter Handkes Prosa der Orte, Räume und Landschaften. Stuttgart: Metzler 2017,
S. 293 – 325.
8 Vgl. zu diesem Verfahren bei Bernhard Juliane Vogel: Die Gebetbücher des Philosophen. Lek-
türen in den Romanen Thomas Bernhards. In: Modern Austrian Literature 21 (1988), H. 3/4,
S. 173 – 186. Tobias Heyl: Zeichen und Dinge, Kunst und Natur. Intertextuelle Bezugnahmen
in der Prosa Thomas Bernhards. Frankfurt a. M. u. a.: Lang 1995, S. 130, hat darauf hingewie-
sen, dass in Bernhards Prosa intertextuelle „Markierungen“ überwiegen, „die allein über den
Autornamen laufen“.
9 Markus Janner: Der Tod im Text. Thomas Bernhards Grabschriften. Dargestellt anhand von
frühen Erzählversuchen aus dem Nachlaß, der Lyrik und der späten Prosa. Frankfurt a. M.
u. a.: Lang 2003, S. 163.
10 Vgl. das Nachwort von Heike Mayer in: Johannes Freumbichler: Erziehung zu Vernunft und
Fröhlichkeit. Briefe in Knittelversen für die Jugend von Sechzehn bis Sechzig. Lehrgedicht aus
dem Nachlaß, gewidmet dem Enkel Thomas Bernhard. Hg. u. mit einem Nachwort v. H.
M.
o.
O.:
Liliom 2003, S. 103 – 112, hier S. 103. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 275
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471