Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Seite - 277 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 277 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

Bild der Seite - 277 -

Bild der Seite - 277 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

Text der Seite - 277 -

Das Narrativ von der Befreiung der eigenen ProduktivitĂ€t durch das Ableben des Vorbildes bzw. des Vorfahren gehorcht, ebenso wie andere ErzĂ€hlsequenzen in Bernhards autobiographischen Arbeiten, einem vielfach erprobten literarischen Muster.15 Erst jĂŒngst hat Friedrich Christian Delius in der ErzĂ€hlung Die Zukunft der Schönheit (2018) mit Blick auf seinen Vater eine ganz Ă€hnliche Konstellation entworfen: Nach dessen Tod habe er, so Delius, rasch die vĂ€ter liche Schreibma- schine „erobert“ und in der Folge „den Triumph ausgekostet, eine ganz andere Buchstabenmelodie darauf zu spielen als er und auf ihren Tasten mein GlĂŒck zu suchen“.16 Steht Delius’ Schilderung auch in einem anderen histo rischen Kon- text, weil der 2011 mit dem Georg-BĂŒchner-Preis ausgezeichnete Autor in Die Zukunft der Schönheit vor allem die Abnabelung seiner Generation von der Welt der VĂ€ter in den 1960er Jahren versinnbildlicht, gehorcht sie doch einem Ă€hn- lichen Strukturprinzip wie Bernhards autobiographische ErzĂ€hlung: „Mit dem GerĂ€usch des Hackens und Hauens und Tippens jedes einzelnen Buchstabens signalisierte ich der Familie: Jetzt schreibe ich, jetzt fĂŒhre ich das Wort, jetzt bin ich der StĂ€rkere.“ 17 Was bei Delius und in der Kulturtheorie Harold Blooms als anmaßende „Umschrift des Vaters“ 18 firmiert, ist in Bernhards autobiogra- phischem Narrativ um eine Generation nach hinten verschoben. Hier wie dort kreist die ErzĂ€hlung um das Recht zu schreiben, um das Selbstbewusstsein zum eigenen kĂŒnstlerischen Ausdruck, das erst mit dem Tod des Vorfahren zur Ent- faltung kommen kann. Die prekĂ€re Gleichzeitigkeit von Befreiung und tiefer Trauer, die in der Auto biographie einprĂ€gsam beschrieben wird, hat Bernhard auch in fiktionalen Texten wiederholt verarbeitet: Noch der Musikphilosoph Reger in Alte Meis- ter (1985) wird vom Tod seiner Frau sagen, dieser sei nicht nur sein „grĂ¶ĂŸtes UnglĂŒck“ gewesen, sondern habe ihn auch „befreit“: „Mit dem Tod meiner Frau bin ich frei geworden, sagte er, und wenn ich sage frei, so meine ich gĂ€nzlich frei, zur GĂ€nze frei, vollkommen frei, wenn Sie wissen oder wenigs- tens ahnen, was das heißt.  [
] Der Tod des geliebten Menschen ist ja auch die ungeheuere Befreiung unseres ganzen Systems“ (TBW 8, 186). Die Figur des Großvaters wird dem schreibenden Enkel zeitlebens, im Guten wie im zudem auf gattungstheoretische Aspekte bezogen: „Bernhards anfĂ€ngliche Verehrung von Freumbichlers Werk erklĂ€rt, dass er sich zunĂ€chst mittels Lyrik und kĂŒrzeren ErzĂ€hlungen zu profilieren sucht. LĂ€ngeren ProsastĂŒcken und Romanen, die er zu Beginn seiner Karriere noch ausspart, weil er sich am Werk seines Großvaters nicht messen lassen will, wendet er sich erst zu, als er sich von Freumbichlers Einfluss emanzipiert hat.“ 15 Vgl. dazu grundlegend Reinhard Tschapke: Hölle und zurĂŒck. Das Initiationsthema in den Jugenderinnerungen Thomas Bernhards. Hildesheim u. a.: Olms 1984. 16 Friedrich Christian Delius: Die Zukunft der Schönheit. ErzĂ€hlung. Berlin: Rowohlt 2018, S.  56. 17 Ebd. 18 Harold Bloom: Eine Topographie des Fehllesens. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997, S.  29. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 277 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
zurĂŒck zum  Buch Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik"
Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Titel
Strategen im Literaturkampf
Untertitel
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Autor
Harald Gschwandtner
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Abmessungen
15.7 x 23.9 cm
Seiten
482
Schlagwörter
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Strategen im Literaturkampf