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des jungen Journalisten gegenĂŒber fremdsprachigen Autorinnen und Auto-
ren â schon Anfang 1952 hatte er die âĂŒberseeischen, ĂŒberwĂŒrzten Erzeug-
nisseâ der auslĂ€ndischen Literatur kritisiert (TBW 22.1, 15), in der Folge ĂŒber
Veranstaltungen im Salzburger âAmerika-Hausâ aber, wie noch zu zeigen sein
wird, auch positiv berichtet. Zum anderen zeigt die Nennung Max Mells in einer
Reihe mit Hugo von Hofmannsthal und der im Widerstand aktiven Verfasse-
rin der österreichischen Bundeshymne Paula von PreradoviÄ, dass Bernhard in
der ersten HĂ€lfte der 1950er Jahre noch wenig âSensibilitĂ€t fĂŒr problematische
KontinuitĂ€ten bei den ReprĂ€sentanten des zeitgenössischen Kulturbetriebsâ
entwickelt hatte.31
Max Mell war nicht nur einer der prominentesten Autoren im austrofaschis-
tischen StÀndestaat, sondern auch im NS-Literatursystem; er hatte 1938 zum
Bekenntnisbuch österreichischer Dichter ein Gedicht zur Feier des âAnschlussesâ
Ăsterreichs an das Deutsche Reich beigesteuert und in zahlreichen einschlĂ€gigen
Anthologien publiziert,32 was seinem Ansehen in der Zweiten Republik â trotz
vehementer Kritik durch Otto Basil und andere in der unmittelbaren Nachkriegs-
zeit 33 â jedoch kaum abtrĂ€glich war: Mells BĂŒhnenstĂŒck Kriemhilds Rache war
in der Saison 1950/1951 die erste österreichische UrauffĂŒhrung am Wiener Burg-
theater (gefolgt von Traube in der Kelter von Richard Billinger, der sich ebenfalls
am Bekenntnisbuch beteiligt hatte).34 Mit seiner verzeihenden, in Teilen wohl auch
unwissend-naiven Haltung stand Bernhard in den 1950er Jahren jedenfalls nicht
alleine da, bewegte sich vielmehr im kulturpolitischen Mainstream jener Jahre,
die â so die pointierte Formulierung des Historikers Gert Kerschbaumer â den
31 Manfred Mittermayer: âDie brennende hilfesuchende Glutâ. Thomas Bernhard als Literaturkri-
tiker in den frĂŒhen 1950er Jahren. In: LiteraturÂ
â PolitikÂ
â Kritik. BeitrĂ€ge zur Ăsterreichischen
Literatur des 20.Â
Jahrhunderts. Hg. v. Harald Jele u. Elmar Lenhart. Göttingen: Wallstein 2014,
S. 204 â 213, hier S. 213.
32 Vgl. Max Mell: Am Tage der AbstimmungÂ
â 10.Â
April 1938. In: Bekenntnisbuch österreichischer
Dichter. Hg. v. Bund deutscher Schriftsteller in Ăsterreich. Wien: Krystall 1938, S.Â
68.Â
â Dazu die
Aufstellung in MĂŒller: ZĂ€suren ohne Folgen (Anm. 25), S. 319 â 322. Zu Mells Rolle im Dritten
Reich vgl. ders.: Die Bannung der Unordnung. Zur KontinuitÀt österreichischer Literatur seit
den dreiĂiger Jahren. In: KontinuitĂ€t und Bruch 1938 â 1945 â 1955. BeitrĂ€ge zur österreichischen
Kultur- und Wissenschaftsgeschichte. Hg. v. Friedrich Stadler. Wien, MĂŒnchen: Jugend und
Volk 1988, S. 181 â 215, hier S. 184; Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war
was vor und nach 1945. Frankfurt a. M.: S. Fischer 2009, S.Â
364.Â
â 1956 lud Bernhard Max Mell
zum von ihm gemeinsam mit Elisabeth Effenberger veranstalteten âForum Hohensalzburgâ
ein; ein Auftritt kam aufgrund gesundheitlicher Beschwerden Mells aber nicht zustande.
33 Vgl. Polt-Heinzl: Die grauen Jahre (Anm. 3), S. 37 f.; Daniela Strigl: Spurensicherung auf dem
âösterreichischen NS-ParnaĂâ. Otto Basil und die Debatte um Josef Weinheber. In: Otto Basil
und die Literatur um 1945. Tradition â KontinuitĂ€t â Neubeginn. Hg. v. Volker Kaukoreit u.
Wendelin Schmidt-Dengler. Wien: Zsolnay 1998, S. 66 â 76.
34 Vgl. Polt-Heinzl: Die grauen Jahre (Anm. 3), S. 91 f.
Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 281
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471