Seite - 295 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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im Zuge seiner Arbeit für das Demokratische Volksblatt für die Belange junger,
am oder unter dem Existenzminimum lebender Schriftsteller ein,81 so etwa im
vorweihnachtlich getönten Artikel Bücher warten auf dich! vom 29. November
1952: „Beglückend ist, daß es die junge österreichische Literatur gibt“, heißt es
dort. „Sie ist da, in einer unglaublichen Mannigfaltigkeit. Aber sie will, wie alles
in der Welt, gehegt und gepflegt werden.“ (TBW 22.1, 89 f.) Vier Monate später
formulierte Bernhard auf der eigens dafür eingerichteten „Seite unserer Jugend“
erneut eine Apologie seiner Generation. Mit seinem unkonkreten und zur Phrase
neigenden Pathos ist das Die Kultur ist nicht stehen geblieben! übertitelte Feuille-
ton charakteristisch für den Stil des jungen Journalisten:
Die Jugend hat nicht geschlafen! Sie hat gearbeitet und arbeitet mehr denn je. Sie hat
es nicht leicht, sie muß einen harten, unerbittlichen Kampf ausstehen und durchhalten.
Sie muß Herr werden über den Dünkel, der die Menschen beherrscht, die Ich-Sucht
und das Unverständnis gegenüber der neuen Zeit. (TBW 22.1, 142)
Bernhards wiederholte Klage über die Vernachlässigung jüngerer Autorinnen
und Autoren bleibt weitgehend unspezifisch, weil er in den einschlägigen Bei-
trägen meist keine konkreten Namen von förderungswürdigen und -bedürftigen
Schriftstellern nennt, und sie geht zudem kaum auf Kosten der Literatur der
älteren Generation. Ein Aufbegehren gegen den konservativ-restaurativen Main-
stream im Salzburger Kulturbetrieb der Nachkriegszeit wird noch einige Zeit
auf sich warten lassen.
Hatte er am 30.
Januar 1952 mit dem frühverstorbenen Rudolf Kasparek einen
Weggefährten und Freund seines Großvaters als „eigenwillige Dichterpersönlichkeit“
ist. Ich würde nie einem jungen Künstler zehn Schilling geben; gar nichts. Der soll hinaus,
und entweder wird er oder nicht. Ich hab’s ja auch so g’macht. […] Ein Schriftsteller, der nur
aus sich selber heraus lebt, arbeiten muß, der wird auch was leisten. Aber wenn er weiß, ich
brauch’ eh nichts tun, weil am Ersten kommt die Rente vom Ministerium oder irgendein Ren-
tenzuschuß
– das ist doch alles furchtbar.“ (TBW 22.2, 270) Vgl. auch Bernhards Kommentar zu
seinem Austritt aus der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung im Dezember 1979, in
dem er sich ebenfalls gegen den „Subventionsdampf“ wendet, der „zum Himmel stinkt“ (TBW
22.1, 662). Dass Bernhard selbst im Laufe seiner schriftstellerischen Karriere von Zuwendungen
durch öffentliche Stellen profitiert hat, verschweigt er indes geflissentlich: „Die Leugnung“ sei,
so Honegger: Thomas Bernhard (Anm. 71), S. 97 f., „derart unverschämt, dass er sich damit
keines wegs von den anderen absetzt, sondern im Gegenteil sich selbst in ihren Heucheleien
und Selbsttäuschungen mit einzubeziehen scheint […]. Sein Zorn mag sich wohl auch am
Selbsterkennen, um nicht zu sagen Selbsthass entzündet haben.“
81 Zu Bernhards „Engagement für Dichterkolleg/innen der jungen Generation“ vgl. auch Janner:
Der Tod im Text (Anm. 9), S. 116, zum literaturgeschichtlichen Kontext dieser Thematik das
Kapitel „Das Problem mit der Jugend“ in Polt-Heinzl: Die grauen Jahre (Anm.
3), S.
69 – 78, zu
Bernhard bes. S. 75 f. Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 295
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471