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Erich Landgrebe herausgegebene Band Dichtung aus Salzburg Bernhard im alpha-
betischen Inhaltsverzeichnis zwischen Rudolf Bayr und Erna Blaas,151 ist in ihm
ein Beitrag von Karl Heinrich Waggerl ebenso enthalten wie zwei Texte des erst
1943 geborenen Bodo Hell, der in diesem Jahr den Rauriser Literaturpreis erhielt.
Für das charakteristische Nebeneinander von politisch belasteten Autoren
einer älteren und aufstrebenden Schriftstellern einer neuen Generation gibt der
Salzburger Otto Müller Verlag ein anschauliches Beispiel ab. Obschon dessen
Gründer und Leiter Otto Müller im Dritten Reich politisch verfolgt worden
war, nahm er bald nach dem Krieg prominente Autoren des NS-Kulturbetriebs
wie Karl Heinrich Waggerl wieder in sein Verlagsprogramm auf und publizierte
bereits 1948 Hans Sedlmayrs modernekritische Streitschrift Verlust der Mitte.152
1956 erschien bei Otto Müller sowohl Gerhard Fritschs Moos auf den Steinen als
auch der letzte Band der von Josef Nadler seit 1953 edierten Weinheber-Werkaus-
gabe. Im Münchner Merkur rezensierte Bernhard am 16.
Februar 1955 die ersten
vier Bände der Ausgabe, deren Herausgeber Nadler – ein zentraler Akteur der
völkischen Germanistik 153 – er zur „aufrechte[n] Arbeit“ gratuliert (TBW 22.1,
401). In seiner Besprechung liest man den zeittypischen, im Kontrast zu späteren
Bernhard-Texten jedoch erstaunlichen Satz: „Und darum sei über den Menschen,
über die brennende hilfesuchende Glut, Verzeihen gebreitet, denn jeder hat not-
wendig, einen Teil wenigstens vergessen zu bekommen.“ (TBW 22.1, 399)154 Mehr
als zwei Jahrzehnte später wird Bernhard in Meine Preise Weinheber, gemeinsam
mit Anton Wildgans, beiläufig als „Wiener Vorstadt-Hölderlin“ bezeichnen, in
dem die spezifisch österreichische „dilettantische Auffassung von Dichtung
[…]
ihr Ideal gefunden“ habe (TBW 22.2, 422). Von seiner einstigen Begeisterung
für ein Werk, das sich
– wie es im Münchner Merkur heißt
– durch „Gemüt und
Österreichertum und Deutschtum“ gleichermaßen auszeichne (TBW 22.1, 399),
ist hier nichts mehr zu lesen.
Literaturbetrieb in der ‚Ostmark‘ (1938 – 1945). Vermessungen eines unerforschten Gebietes.
In: K. A.: Die Dichter und die Politik (Anm. 132), S. 113 – 128, hier S. 120 f., zufolge war Brehm
der am häufigsten in nationalsozialistischen Empfehlungslisten für Literatur genannte öster-
reichische Autor.
151 Vgl. Dichtung aus Salzburg. Hg. v. Erich Landgrebe. Wien: Kremayr & Scheriau 1972, S.
215 – 217.
152 Vgl. Holl: Literaturgeschichte Salzburgs (Anm. 92), S. 680 f.
153 Vgl. Kerschbaumer: Der kalte Krieg gegen die Moderne (Anm. 35), S. 121: „Nadler, der 1945
außer Dienst gestellt worden war, entwickelte sich zu einer Leit- und Identifikationsfigur für
das sich neu formierende politische Lager aus ehemaligen Nationalsozialisten, Großdeutschen
und Feigenblattliberalen, für den Verband der Unabhängigen.“ Vgl. dazu auch Polt-Heinzl: Die
grauen Jahre (Anm. 3), S. 49 – 51.
154 Es ist jedoch anzumerken, dass die von Josef Nadler und Hedwig Weinheber, der Witwe des
Autors, betreute Werkausgabe „alle politisch kompromittierenden Gedichte vorsorglich nicht
enthielt“ (Polt-Heinzl: Thomas Bernhard betritt die Wiener Szene [Anm. 66], S. 59).
Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 313
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
- II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
- „Über diesen Roman wären nicht so viele böse Worte zu verlieren …“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, Verbündete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche Schwätzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
- „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der Bühne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der Dürre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als ‚leeres Geschäft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚Natürlichkeit‘ 150
- Die „ästhetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses Unglück) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshändige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- Schnüffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der Lektüre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut Färber 246
- „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- „wirklich unorthodox“: Handke über/mit Ödön von Horváth 259
- Keine Axt für das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- „Kanzlist, Kofferträger und Kunstkritiker“ 289
- „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
- „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
- „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekärer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471