Seite - 318 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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Geliebte (nach Theodor Storms Novelle Aquis submersus) in Salzburg noch zu
wĂŒtenden Protesten von jĂŒdischen Displaced PersonsÂ
â darunter angeblich auch
Simon WiesenthalÂ
â gefĂŒhrt.165 Zwei Jahre spĂ€ter meldete Bernhard gegen eine
AuffĂŒhrung von Harlans 1939 veröffentlichtem Film Das unsterbliche Herz, an
dessen Drehbuch der Ăsterreicher Richard Billinger mitgearbeitet hatte, kei-
nerlei Bedenken an. âKurzumâ, beschlieĂt er seine wenige Zeilen umfassende
Rezension: âEin Film, der auch weiterhin zu den besten zĂ€hlen wird, die man
zu zeigen hat.â (TBW 22.1, 319) Am selben Tag erschien im Demokratischen
Volksblatt ein ausfĂŒhrlicher Bericht Bernhards ĂŒber das Salzburger Heimatwerk,
das unter der Leitung von Tobi Reiser âjahraus, jahrein das BodenstĂ€ndige
wachhĂ€lt und lĂ€ngst Vergessenes wieder ans Tageslicht trĂ€gtâ; im Rahmen des
vom Heimatwerk veranstalteten Salzburger Adventsingens werde auch Karl
Heinrich Waggerl âaus seinen Christkindlgeschichten lesen und bestimmt eine
echte Weihnachtsstimmung hervorzaubernâ (TBW 22.1, 317). Mit Harlan, Reiser
und Waggerl finden sich in Bernhards Veröffentlichungen vom 28.Â
November
1953 gleich drei Personen, die im Nationalsozialismus als willfĂ€hrige KĂŒnstler
reĂŒssiert hatten und in der Gunst der Machthaber gestanden waren.166
WĂ€hrend Bernhard sich mit Blick auf politisch belastete Kunstschaffende
nachsichtig erwiesÂ
â oder nicht das Wissen mitbrachte, die einschlĂ€gigen Akteure
und Institutionen historisch einzuordnenÂ
â, zeigte er sich PhĂ€nomenen der Unter-
haltungskultur gegenĂŒber von Anfang an sehr reserviert; wiederholt fĂŒhrte er in
seinen Kritiken den Vorwurf, zu sehr auf das Kommerzielle zu schielen, ins Tref-
fen.167 Den Arbeiten von Elisabeth Effenberger etwa bescheinigte er im April 1953,
sie seien âallzu sehr im Kunstgewerblichen des Wortes befangenâ, weil sie sich
165 Vgl. Waitzbauer: Thomas Bernhard in Salzburg (Anm. 47), S. 76.
166 Vgl. Oliver Rathkolb: Tobi Reiser und der Nationalsozialismus. Salzburg: Salzburg Museum
2016, der im Detail zeigt, auf welche Weise Reisers TĂ€tigkeit im Dritten Reich âsystem- und herr-
schaftsstabilisierend gewirkt hatâ (S.Â
38). Zu Bernhards VerhĂ€ltnis zu Waggerl vgl. Karl MĂŒller:
âWir sind eben Bestien, die sich gegenseitig in Schach halten.â â âDas Leben ist ein ProzeĂ,
den man verliert.â Karl Heinrich Waggerl und Thomas Bernhard im Vergleich. In: Thomas
Bernhard Jahrbuch 2003, S.Â
13 â 33; zu Waggerls Karriere nach 1945 ders.: Zur (Dis- ) Kon
tinuitÀt
öster reichischer Literatur seit den 30er Jahren: Karl Heinrich Waggerl (1897 â 1973). Ein Erfolgs-
autor der 50er Jahre. In: Literatur in Ăsterreich (Anm. 137), S. 52 â 74. â Ob Waggerl tatsĂ€ch-
lich âtrotz seiner NĂ€he zum Nationalsozialismusâ der âerfolgreichsteâ Autor im Salzburg der
Nachkriegszeit war, wie Adolf Haslinger: Literatur. In: Salzburger Kulturlexikon. Hg. v. A. H.
u. Peter Mittermayr. Salzburg u. a.: Residenz 2001, S. 25 â 29, hier S. 27, vermutet, oder nicht
gerade aufgrund der Ăbereinstimmung seiner einstigen Gesinnung mit jener des Publikums,
wÀre zu diskutieren.
167 Zu Bernhards Klage angesichts der âĂberfremdung und Trivialisierung des Buchmarktesâ vgl.
Habringer: Der Auswegsucher (Anm. 26), S. 35, der die wiederkehrende Argumentation des
jungen Rezensenten, seine âOption fĂŒr den Erbauungscharakter von Literaturâ, als âreine Apo-
logie der Vormoderneâ kritisiert.
âZeitungsgâschichtâlnâ: Thomas Bernhard als
Literaturkritiker318
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471