Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kunst und Kultur
Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Seite - 341 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 341 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

Bild der Seite - 341 -

Bild der Seite - 341 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik

Text der Seite - 341 -

sich vor dem Eindringen in Kunstwerke, sagte er, Sie verderben sich alles und jedes, selbst das Geliebteste. Schauen Sie ein Bild nicht lang an, lesen Sie ein Buch nicht zu eindringlich, hören Sie ein MusikstĂŒck nicht mit der grĂ¶ĂŸten IntensitĂ€t, Sie ruinie- ren sich alles und damit das Schönste und das NatĂŒrlichste auf der Welt. (TBW 8, 44) Der Gestus der radikalen Kritik, dem sich Reger im Feld der Kunstbetrachtung verschrieben hat, korrespondiert mit einem unbarmherzigen und kalten Blick auf alle PhĂ€nomene der Welt, was ihn, wie er nun gegen Ende seines Lebens erken- nen muss, ins „UnglĂŒck“ gestĂŒrzt hat: „Zerlegungs- und Zersetzungsmechanis- mus, sagte Reger, das ist es, das ich mir angewöhnt habe schon in frĂŒhen Jahren, ohne zu wissen, daß das mein UnglĂŒck ist.“ (TBW 8, 141)249 Von seinen buchlan- gen Invektiven gegen Adalbert Stifter, Martin Heidegger, Anton Bruckner und jene Alten Meister, die in den RĂ€umen des Wiener Kunsthistorischen Museums ausgestellt sind, bleibt schließlich eine recht dĂŒrftige Essenz, die den Leerlauf seiner polemischen Attacken offenbart: „Die Maler malen Mist, die Komponis- ten komponieren Mist, die Schriftsteller schreiben Mist, sagte er.“ (TBW 8, 131) Seine „KunststĂŒckchen fĂŒr die Times“ (TBW 8, 171) und seine mĂŒndlich vor- gebrachten Invektiven gegen bildende Kunst, Philosophie, Musik und Literatur rechnen lĂ€ngst nicht mehr mit der Vermittlung an ein Publikum  – seine Zuhörer Irrsigler und Atzbacher sind im Grunde bloß Staffage  –; vielmehr verleihen sie einzig und allein seiner allumfassenden Misanthropie Ausdruck, die sich seit dem tragischen Tod seiner Frau noch verstĂ€rkt hat. Adalbert Stifter als „schlechter Schriftsteller“, der einen „fĂŒrchterlichen Stil“ geschrieben habe, „der noch dazu grammatikalisch unter jeder Kritik“ sei; ein „auf den lĂ€ngsten Strecken seiner Prosa  [
] unertrĂ€glicher SchwĂ€tzer“, der sich eines „stĂŒmperhaften und, was das Verwerflichste ist, schlampigen Stil[s]“ bedient habe; „der langweiligste und verlogenste Autor, den es in der deutschen Literatur gibt“; seine Literatur „vollgestopft mit schiefen Bildern und falschen, verqueren Gedanken“ (TBW 8, 46 f.).  – Was die „heutigen österreichischen Schriftsteller[  ]“ publizierten, weise sie nicht nur als „schamlos und ruhmsĂŒchtig“ aus, sondern sei ganz grundsĂ€tzlich „Mist“ und „widerwĂ€rtig-sentimentale Epigonenlitera- tur“; ihre BĂŒcher gehörten „nicht in die Buchhandlungen, sondern gleich auf den Misthaufen“ (TBW 8, 136 f.).  – Was Bernhard seinen Protagonisten Reger in Alte Meister vorbringen lĂ€sst, kann nicht im engeren Sinne als Literaturkritik gelten.250 249 Vgl. Harald Gschwandtner: Thomas Bernhards ‚RadikalitĂ€t‘. Versuch einer kultursoziologi- schen Lesart. In: Das Radikale. Gesellschaftspolitische und formal-Ă€sthetische Aspekte in der Gegenwartsliteratur. Hg. v. Stephanie Willeke, Ludmila Peters u. Carsten Roth. Berlin u. a.: LIT 2017, S.  235 – 261, bes. S.  235 – 237. 250 Marcus Hahn: Geschichte und Epigonen. ‚19.  Jahrhundert‘ / ‚Postmoderne‘, Stifter  / Bernhard. Freiburg i. Br.: Rombach 2003, S.  426, zufolge prĂ€sentieren Bernhards Figuren einen zusehends „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen 341 © 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
zurĂŒck zum  Buch Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik"
Strategen im Literaturkampf Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Titel
Strategen im Literaturkampf
Untertitel
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
Autor
Harald Gschwandtner
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-205-21231-7
Abmessungen
15.7 x 23.9 cm
Seiten
482
Schlagwörter
Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
Kategorie
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. VORWORT 9
  2. I „SCHREIBEN IST EIN FÜNFKAMPF“: EINE ART EINLEITUNG 13
  3. II „ICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDEN“:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
    1. Legitimationen und Strategien 27
    2. EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung) 34
    3. „Über diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren 
“: Handkes Hornissen nach Princeton 39
    4. Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
    5. Ein Buch „rehabilitieren“? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
  4. III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWÄNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
    1. Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
    2. Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
    3. „vollkommen humorlos und blöd“: Bernhard und die Literaturkritik 82
    4. „vom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten Verriß“: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
    5. „unbeholfener lyrischer Unsinn“: Bernhard redigiert eine Kritik – mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
    6. „ekelhaft ekelhaft ekelhaft“: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Über allen Gipfeln ist Ruh) 103
    7. Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
    8. Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
    9. Literaturkritik als ‚leeres GeschĂ€ft‘: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
    10. „Ihr wart Vollblutschauspieler“:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
    11. „Solche Wörter sollte man euch verbieten“ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
    12. Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
  5. IV „MEIN FEIND IN DEUTSCHLAND“: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
    1. Princeton 1966 und die Folgen 141
    2. Poetik und Polemik oder: Das Problem der ‚NatĂŒrlichkeit‘ 150
    3. Die „Àsthetischen Gewissensbisse“ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
    4. Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
    5. „schiefe Bilder und preziöse Vergleiche“ (Langsame Heimkehr) 170
    6. Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
    7. Mit Cézanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
    8. Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
    9. SchnĂŒffeln und Verreißen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
    10. Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
  6. V „ES SIND AUCH ANDERE SÄTZE MÖGLICH“: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENÖSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
    1. „Aber ich bin kein Kritiker“ 221
    2. Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
    3. Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
    4. „Kritik, die zugleich eine Form der Begeisterung ist“: Helmut FĂ€rber 246
    5. „Haben Sie das gehört?“: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
    6. „wirklich unorthodox“: Handke ĂŒber/mit Ödön von HorvĂĄth 259
    7. Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
    8. Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
  7. VI „ZEITUNGSG’SCHICHT’LN“: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
    1. Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
    2. „Ich glaube, da liegen die Wurzeln“: Bernhard als Gerichtsreporter 284
    3. „Kanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritiker“ 289
    4. „zuchtvoll und klar“: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
    5. Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der „NS-Parnaß“ 305
    6. „Traumfabrik“ und „Ro-Ro-Ro-Kost“: Kino und Taschenbuch 314
    7. Alte Zöpfe, neue Pferde 322
    8. „Was in den guten Jungen nur gefahren sein mag?“: erste Polemiken 329
    9. „Ich kann kein Buch besprechen“: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
  8. VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
    1. Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
    2. Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
    3. „ein wirklicher Dichter“: Kreisky verteidigt Handke 362
    4. The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
    5. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
    6. Zwischen „Geisteskunst“ und „Selbstkorrektur“: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
    7. Vom „Streben nach eigener Billigung“ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
  9. VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
  10. IX DANKSAGUNG 413
  11. X BIBLIOGRAPHIE 415
    1. PrimÀrliteratur und Quellen 415
    2. Literatur- und Kulturtheorie 433
    3. Forschungsliteratur 435
    4. Rezensionen, Presseberichte, Journalistisches 463
    5. Fernsehsendungen, Audiovisuelle Medien, Webpages 469
  12. XI PERSONENREGISTER 471
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Strategen im Literaturkampf