Seite - 373 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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die positive Resonanz auf das Werk) simulieren. Das von Bernhard skizzierte
Konzept der Selbstrezension geht, unabhÀngig von einem möglichen Publikum
sowie ohne Bindung an die traditionellen Medien der Literaturkritik, vielmehr
davon aus, dass nur der Autor selbst in der Lage sei, die Defizite eines von ihm
verfassten Textes schonungslos und prÀzise aufzuzeigen und zu beschreiben.
Bernhards Koketterie mit der Möglichkeit der Selbstrezension ist im Grunde
ein Spiel mit der Vorstellung, externe Kommentatoren aus dem GesprĂ€ch ĂŒber
das literarische Werk auszuschlieĂenÂ
â und damit die Herrschaft ĂŒber Wert und
Unwert, ĂŒber Gelingen und Scheitern des Kunstwerks selbst in der Hand zu haben.
Weil er, so Bernhard im 1977 gefĂŒhrten, jedoch erst postum publizierten
âNachtgesprĂ€châ mit Peter Hamm, ânoch nie eine Kritik, ganz wurscht welche,
gelesenâ habe, âdie nicht ein totales MiĂverstĂ€ndnis gewesen wĂ€reâ, ja weil trotz
mancher ârichtige[n] Andeutungâ alle Rezensenten âimmer danebenâ gelegen
hÀtten, sei er auf die Idee verfallen, sich selbst um eine adÀquate literaturkri-
tische Kommentierung seines Schreibens zu kĂŒmmern: âIch könntâ sie selbst
schreiben, ja, ich könntâ selbst Kritiken ĂŒber meine Sachen schreiben.â (TBW
22.2, 129) Auf Hamms Nachfrage, ob es sich denn dabei um â[k]ritische Kriti-
kenâ handeln wĂŒrde, antwortet Bernhard mit einem Gemeinplatz skrupulöser
Autorschaft: âJa sicher, ja, das wĂ€râ interessant. Es ist niemand so kritisch mit
allen meinen Sachen wie ich. Ich könnte so vorgehen gegen mich, wie ich gegen
meine Figuren. Absolut.â Statt durch Rezensionen und wissenschaftliche Auf-
sĂ€tze unberufener Geister erneut âlauter MiĂverstĂ€ndnisseâ zu befördern, sei
ihm an einem âZurechtrĂŒckenâ gelegen, das er allerdings nur selbst bewerkstel-
ligen könne (TBW 22.2, 129). Peter Handke hat sich, knapp zehn Jahre spÀter,
in Ă€hnlicher Weise geĂ€uĂert: âIch könnte ja selber bessere Abhandlungen ĂŒber
meine Sachen, denk ich oft, also stichhaltigere verfassen als die meisten, weit-
aus das meiste was ich drĂŒber lese.â Wie Bernhard attestiert sich auch Handke
im GesprĂ€ch mit Herbert Gamper die FĂ€higkeit zu einer âfruchtbaren Selbst-
kritikâ; zögerlich, aber doch bestimmt vergleicht er sie bei dieser Gelegenheit
mit der âselbstkritischen Haltung gegenĂŒber dem Dichterberufâ, wie sie Goethe
im Torquato Tasso exemplarisch gestaltet habe.95
als Instrument der Selbstpositionierung betrachtet â Friedrich Schillers Rezeptionspraxis
und die SchaubĂŒhne. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 61 (2011), H. 4, S. 395 â 406.
95 Peter Handke: Aber ich lebe nur von den ZwischenrĂ€umen. Ein GesprĂ€ch, gefĂŒhrt von Herbert
Gamper. ZĂŒrich: Ammann 1987, S.Â
226. Vgl. auch die folgenden beiden Notate in Peter Handke:
Die Geschichte des Bleistifts. Salzburg, Wien: Residenz 1982, S.Â
143 f.: âSelbstkritik: In die Leere,
in die ich schaute und FĂŒlle phantasierte, trat ein wirklicher Mensch, der mich störte (erst in
der Selbstkritik habe ich auch die Empfindung, zu denken)â â âSchönheit und Trostlosigkeit
werden verbunden durch Kritik. Deswegen mĂŒĂte mein Schreiben kritischer sein (der starke
Atem der Selbstkritik)â. Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 373
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471