Seite - 388 - in Strategen im Literaturkampf - Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
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diesem Punkt, legen doch beide nachdrĂŒcklich Wert auf die Distinktion gegen-
ĂŒber Zeitgenossen und Konventionen â eine Pose, die nicht zuletzt dazu dient,
sich gegen Kritik zu immunisieren.
Roithamers fataler Solipsismus erkennt nur das eigene Urteil an. Mit dem
Bericht von der intellektuellen Selbstbehauptung des Architekten entwirft
Bernhards Korrektur auch die Emanzipation seines Protagonisten von den
Urteilen und EinschĂ€tzungen AuĂenstehender, ist dieser doch trotz der offen-
sichtlichen Schwierigkeiten seiner Unternehmung âgar nicht daran interessiert,
daĂ andere seinen Kegel, sein Baukunstwerk in Augenschein nahmenâ (TBW 4,
43). SÀtze wie dieser fungieren im Roman als Postulate jener radikalen UnabhÀn-
gigkeit, die Bernhard auch fĂŒr sich selbst in Anspruch genommen und etwa in
der Korrespondenz mit Siegfried Unseld des Ăfteren pointiert festgehalten hat:
âDie Ergebnisse sind wichtig, sonst nichtsâ, schreibt er im November 1977 nach
Abschluss des Manuskripts von Ja (1978),148 um knapp drei Jahre spÀter die abso-
lute Konzentration auf sich selbst und den eigenen MaĂstab erneut zu betonen:
âIch freue mich ĂŒber eine gelungene Arbeit, das ist alles.â 149
Unselds Vorschlag, ein âVorexemplarâ des Romans Korrektur âeinem ganz
kleinen Kreis unter den Rezensentenâ zur VerfĂŒgung zu stellen,150 hatte Thomas
Bernhard im Herbst 1973 entschieden abgelehnt, âweil mich die Kritiker ĂŒber-
haupt nicht, und die berĂŒhmtesten am allerwenigsten interessieren.â 151 Nicht
das Urteil der professionellen Leser sollte der MaĂstab fĂŒr das Gelingen seiner
nĂ€chsten groĂen Prosaarbeit â im Ăbrigen des letzten als âRomanâ ausgewie-
senen Buches 152Â â sein, sondern die Ăberzeugung des Autors, sich durch die
148 Bernhard an Unseld, 22. 11. 1977. In: Bernhard/Unseld: Der Briefwechsel (Anm. 2), S. 527. Vgl.
ebd.: âIch denke, es ist eine Prosa geworden, die mich âglĂŒcklichâ macht âŠâ
149 Bernhard an Unseld, 15. 9. 1980. In: ebd., S. 605.
150 Unseld an Bernhard, 29. 8. 1973. In: ebd., S. 388.
151 Bernhard an Unseld, 13. 9. 1973. In: ebd., S. 391.
152 WÀhrend Verstörung (1967), Das Kalkwerk (1970) und Korrektur (1975) in den jeweiligen Erst-
ausgaben peritextuell als âRomanâ ausgewiesen werden, fehlt diese Gattungsbezeichnung schon
im ProsadebĂŒt Frost (1963) sowie bei allen spĂ€teren umfangreichen ProsabĂ€nden wie HolzfĂ€llen.
Eine Erregung (1984) oder Auslöschung. Ein Zerfall (1986). Der Untergeher (1983) heiĂt zwar
auf dem Schutzumschlag der Erstausgabe âRomanâ, in der Titelei fehlt der Terminus jedoch.
In der Bernhard-Forschung, etwa auch im aktuellen Bernhard-Handbuch, werden die fĂŒnf lĂ€n-
geren Prosatexte von Beton (1982) bis Auslöschung (1986) meist unkommentiert als âRomaneâ
bezeichnet, wĂ€hrend andere ohne traditionelle Gattungsbezeichnung gedruckte BĂŒcher wie
Ja (1978) und Die Billigesser (1980) den âErzĂ€hlungenâ zugeschlagen werden. â Heyl: Zeichen
und Dinge (Anm. 111), S. 135, zufolge âerwecken Bernhards Texte den Anschein, sich jeder
Klassifikation in Gattungen zu entziehenâ; er greift aber deutlich zu kurz, in Bernhards âsehr
eigenwillige[n] Gattungszuschreibungenâ âlediglich ein Spiel mit paratextuellen Konventionenâ
(ebd.) zu sehen. Laut Billenkamp: Thomas Bernhard (Anm. 26), S. 398, macht es Bernhards
âvirtuose Handhabung biografischer FaktizitĂ€t und fiktionaler NarrationÂ
[âŠ] schwierig[,] seine
Rezensionen, die keine sind: Kritik und Selbstkritik bei Thomas
Bernhard388
© 2021 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Zeltgasse 1, 1080 Wien
https://doi.org/10.7788/9783205212317 | CC BY-NC-ND 4.0
Strategen im Literaturkampf
Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Titel
- Strategen im Literaturkampf
- Untertitel
- Thomas Bernhard, Peter Handke und die Kritik
- Autor
- Harald Gschwandtner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21231-7
- Abmessungen
- 15.7 x 23.9 cm
- Seiten
- 482
- Schlagwörter
- Kulturjournalisten, Literaturkritik, Marcel Reich-Ranicki, Peter Handke, Thomas Bernhard
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- VORWORT 9
- I âSCHREIBEN IST EIN FĂNFKAMPFâ: EINE ART EINLEITUNG 13
- II âICH KANN MICH DAMIT SCHWER ABFINDENâ:KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK 27
- Legitimationen und Strategien 27
- EinsprĂŒche gegen die Kritik: eine verbotene Ăbung (Verstörung) 34
- âĂber diesen Roman wĂ€ren nicht so viele böse Worte zu verlieren âŠâ: Handkes Hornissen nach Princeton 39
- Fronten, VerbĂŒndete, Kampfbegriffe 49
- Ein Buch ârehabilitierenâ? (Die Hornissen, Der Hausierer) 55
- III UNFREUNDLICHE BETRACHTUNGEN: EINWĂNDE GEGEN DIE LITERATURKRITIK 63
- Sehlustfeindliche SchwÀtzer 63
- Vom Zeitungswahnsinn bedroht (Wittgensteins Neffe, Nachmittag eines Schriftstellers) 70
- âvollkommen humorlos und blödâ: Bernhard und die Literaturkritik 82
- âvom peinlichsten Lob bis zum bösartigsten VerriĂâ: Bernhard liest Rezensionen (Frost) 87
- âunbeholfener lyrischer Unsinnâ: Bernhard redigiert eine Kritik â mit einem Exkurs zu Elias Canetti 95
- âekelhaft ekelhaft ekelhaftâ: Kritiken auf der BĂŒhne (Der Ignorant und der Wahnsinnige, Minetti, Ăber allen Gipfeln ist Ruh) 103
- Von der DĂŒrre der Theaterkritik oder: Landwirte und Rezensenten 112
- Nur selten ein Sommerhemd: Handke liest Rezensionen 117
- Literaturkritik als âleeres GeschĂ€ftâ: Handkes Vorarbeiten im Radio 120
- âIhr wart Vollblutschauspielerâ:Handke und die Phrasen der Kritik (Publikumsbeschimpfung) 126
- âSolche Wörter sollte man euch verbietenâ oder:Erstsprache vs. Zweitsprache 129
- Einwenden und Hochhalten: Handkes Rede gegen die Literaturkritik 133
- IV âMEIN FEIND IN DEUTSCHLANDâ: PETER HANDKE VS. MARCEL REICH-RANICKI 141
- Princeton 1966 und die Folgen 141
- Poetik und Polemik oder: Das Problem der âNatĂŒrlichkeitâ 150
- Die âĂ€sthetischen Gewissensbisseâ des Peter Handke (Wunschloses UnglĂŒck) 156
- Schleichende Eskalation: die 1970er Jahre (Die linkshÀndige Frau, Das Gewicht der Welt) 159
- âschiefe Bilder und preziöse Vergleicheâ (Langsame Heimkehr) 170
- Die Bestie von Puyloubier (Die Lehre der Sainte-Victoire) 175
- Mit CĂ©zanne gegen die Hunde (Die Lehre der Sainte-Victoire) 183
- Im Bunde? Reich-Ranicki, Bernhard und Unseld 189
- SchnĂŒffeln und VerreiĂen (Mein Jahr in der Niemandsbucht) 204
- Unversöhnt: letzte Gefechte (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus) 212
- V âES SIND AUCH ANDERE SĂTZE MĂGLICHâ: PETER HANDKES GEGENMODELLE ZUR ZEITGENĂSSISCHEN LITERATURKRITIK 221
- âAber ich bin kein Kritikerâ 221
- Ein Leseerlebnis beschreiben: Handke rezensiert Hermann Lenz 228
- Abenteuergeschichte der LektĂŒre: Handke liest Bernhards Verstörung 239
- âKritik, die zugleich eine Form der Begeisterung istâ: Helmut FĂ€rber 246
- âHaben Sie das gehört?â: Wolfgang Bauer, The Beatles, Gert Jonke 251
- âwirklich unorthodoxâ: Handke ĂŒber/mit Ădön von HorvĂĄth 259
- Keine Axt fĂŒr das gefrorene Meer in uns: Franz Kafka, Karin Struck 262
- Der Autor als Kritiker: ein Rollenkonflikt? 266
- VI âZEITUNGSGâSCHICHTâLNâ: THOMAS BERNHARD ALS LITERATURKRITIKER 273
- Vor eines Dichters Grab: Johannes Freumbichler 273
- âIch glaube, da liegen die Wurzelnâ: Bernhard als Gerichtsreporter 284
- âKanzlist, KoffertrĂ€ger und Kunstkritikerâ 289
- âzuchtvoll und klarâ: Bernhard als Literaturkritiker im Salzburger Demokratischen Volksblatt 293
- Verschweigen und Verzeihen: Bernhard und der âNS-ParnaĂâ 305
- âTraumfabrikâ und âRo-Ro-Ro-Kostâ: Kino und Taschenbuch 314
- Alte Zöpfe, neue Pferde 322
- âWas in den guten Jungen nur gefahren sein mag?â: erste Polemiken 329
- âIch kann kein Buch besprechenâ: Absagen und Stellvertretungen (Alte Meister, Auslöschung) 333
- VII REZENSIONEN, DIE KEINE SIND: KRITIK UND SELBSTKRITIK BEI THOMAS BERNHARD 343
- Vorgeschichten einer Polemik: Bernhard vs. Bruno Kreisky 343
- Politische Polemik als Literaturkritik (Gerhard Roth, Peter Turrini) 357
- âein wirklicher Dichterâ: Kreisky verteidigt Handke 362
- The Return of the Critic oder: Ausweitung der Kampfzone 369
- Bernhard als Kritiker seiner selbst (Korrektur) 372
- Zwischen âGeisteskunstâ und âSelbstkorrekturâ: Szenen prekĂ€rer Autorschaft (Korrektur, Am Ortler) 379
- Vom âStreben nach eigener Billigungâ (Der Untergeher, Der Theatermacher) 386
- VIII KRAFT DURCH FEINDE: EINE ART EPILOG 397
- IX DANKSAGUNG 413
- X BIBLIOGRAPHIE 415
- XI PERSONENREGISTER 471