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Autopsie und Kontextualisierung der drei »Angielini«-Pläne von Wien | 293
die Obere Paradeisbastei weichen die »Angielini«-Pläne von Wien in der Wiedergabe
voneinander ab. Alle drei Versionen zeigen eine Art Quermauer, die von der Stadtgra-
benecke auf die Spitze der Oberen Paradeisbastei zuläuft, die als sogenannter »Bär«
(Batardeau) zu interpretieren sein könnte.209 Sie diente wohl einerseits der Regulie-
rung des Wasserstands im Graben, war andererseits aber auch Bestandteil der Wasser-
kunst, die dieser Bastei ihren späteren Namen gab. Dieses doppelfunktionale Objekt
weist nur auf dem Karlsruher Exemplar eine rundbogige Öffnung auf, durch die Was-
ser in Richtung Donau strömt, das von zwei »Quellen« im Graben rechts der Face der
Oberen Paradeisbastei auf der Höhe des alten Kärntnerturms seinen Ausgang nimmt
(wie oben S. 283 Ab. 61). Der Karlsruher Plan deutet als einziger ein weiteres, besonde-
res Detail an : Wir sehen zwischen der Grabenecke und den zwei »Quellen« eine von
Pfosten getragene, wohl aus Holz bestehende Rohrleitung, die in die »Quermauer«,
d. h. in das doppelfunktionale Bauwerk mündete, welches als Teil der Wasserkunst die-
ses zugeleitete Wasser aufgenommen haben könnte. In der Wiener Version entspringt
an derselben Stelle der zwei »Quellen« des Karlsruher Exemplars lediglich ein Rinnsal.
In der Dresdner Überlieferung fehlt dieses ganz. Hier ist der Graben vom linken Flan-
kenhof der Oberen Paradeisbastei nach Nordosten hin als vollflächig wasserführend
eingefärbt. In den zwei anderen Exemplaren ist dieser Wasserstand erst unterhalb der
Unteren Paradeisbastei festzustellen. Von ihrer Bastionsspitze verläuft im Karlsruher
und Dresdner Plan eine weitere Quermauer im Graben, die in ihrer Mitte eine Unter-
brechung aufweist und möglicherweise ebenso zur Regulierung des Wasserstands im
Graben diente. Auch auf dem im Königlichen Kriegsarchiv in Stockholm aufbewahr-
ten Plan der Festung Wien sehen wir im Stadtgraben jeweils eine Quermauer, die von
der Spitze der Oberen und der Unteren Paradeisbastei zur Kontereskarpe führt. Sie ist
jedoch auf keinen anderen Plänen und Ansichten verzeichnet, sodass eine eindeutige
Verifizierung nicht möglich ist.
6.3.19 Resümee
Die Perspektivpläne veranschaulichen das Aussehen der Festungsanlagen nach Ab-
schluss der ersten großen Ausbaustufe um 1565. Diese Art der Darstellung diente dem
besseren Verständnis des Aussehens, der Lage und des Ausmaßes der Festung. So ließen
sich leichter Rauminformationen aus Festungsplänen gewinnen, denn der in die Ebene
anstatt in die Höhe weit ausgreifende und verwinkelte Grundriss einer Festung konnte
aus der menschlichen Perspektive nicht mehr so leicht erfasst werden,210 wie es noch
209 Zur Situation in diesem Bereich siehe oben S. 174 sowie S. 283 f. Abb. 60–62.
210 Gebuhr, Festungsbau, 68.
Wien als Festungsstadt im 16.Jahrhundert
Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini
- Titel
- Wien als Festungsstadt im 16.Jahrhundert
- Untertitel
- Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini
- Autoren
- Ferdinand Opll
- Heike Krause
- Christoph Sonnlechner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20210-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 586
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Inhalt
- Einleitung 9
- Die Angielinis, ihr Werk und Wirken 10
- Wien als Festungsstadt 13
- Terminologie und Onomastik 14
- Internet 16
- Abbildungen 17
- Dank 17
- 1 Die Familie Angielini und ihr kartografisches Schaffen 21
- 1.1 Biografisches 21
- 1.2 Das beruflich-persönliche Umfeld der Angielinis 38
- 1.3 Das kartografische Werk der Familie Angielini 44
- 1.4 Die Überlieferungen der »Angielini«-Atlanten in Wien, Dresden und Karlsruhe 51
- 1.5 Exkurs : Die in den fünf »Angielini«-Atlanten vorkommenden Wasserzeichen 52
- 1.6 Analyse und Autopsie der fünf »Angielini«-Atlanten 59
- 2 Der in den »Angielini«-Atlanten erfasste Raum 87
- 3 Der ungarische Raum und die Stadt Wien in frühen kartografischen Zeugnissen 101
- 4 Der frühneuzeitliche Festungsbau in Theorie und Praxis 127
- 5 Wien wird Festungsstadt – Der Ausbau nach der Belagerung von 1529 bis in die Mitte der 1560er Jahre 147
- 5.1 Die fortifikatorischen Folgen der Ersten Türkenbelagerung von Wien im Jahr 1529 147
- 5.2 Der Festungsbau aus umwelthistorischer Perspektive 197
- 6 Autopsie und Kontextualisierung der drei »Angielini«-Pläne von Wien 221
- 6.1 Das weitere Umfeld – eine Annäherung an die Stadt 221
- 6.2 Die unmittelbare Umgebung der Stadt 228
- 6.3 Die Befestigung 250
- 6.3.1 Bastei bei dem Burgtor 252
- 6.3.2 Bastei zwischen Burg- und Schottentor 255
- 6.3.3 Bastei beim Schottentor 258
- 6.3.4 Elendbastei 261
- 6.3.5 Arsenal und Reste der mittelalterlichen Stadtmauer 263
- 6.3.6 Neutorbastei 267
- 6.3.7 Mittelalterliche Stadtmauer zwischen Werdertor und Piattaforma samt neuer Kurtine 268
- 6.3.8 Piattaforma 268
- 6.3.9 Mittelalterliche Stadtmauer zwischen Piattaforma und Biberbastei 270
- 6.3.10 Biberbastei 272
- 6.3.11 Bastei bei den Predigern 274
- 6.3.12 Stubentor und angrenzende Kurtinen 277
- 6.3.13 Untere Paradeisbastei 278
- 6.3.14 Unteres Zeughaus auf der Seilerstätte 281
- 6.3.15 Obere Paradeisbastei 282
- 6.3.16 Bastei beim Kärntner Tor 286
- 6.3.17 Mittelalterliche Stadtmauer und sogenannter Augustinerturm 290
- 6.3.18 Stadtgraben 292
- 6.3.19 Resümee 293
- 6.4 Das Stadtinnere 294
- 7 Zusammenfassung und Summary 305
- 8 Tafeln 313
- 9 Anhang 325
- 9.1 Die mit dem kartografischen Schaffen der Familie Angielini in Verbindung stehenden kartografischen Darstellungen 325
- 9.2 Anzahl der in den »Angielini«-Atlanten enthaltenen Stadtpläne, Festungsgrundrisse und -schrägansichten 457
- 9.3 Reihenfolge der in den Überlieferungen der »Angielini«-Atlanten enthaltenen kartografischen Darstellungen 459
- 9.4 Konkordanz der in den Stadtplänen, Festungsgrundrissen und -schrägansichten der »Angielini«-Atlanten verwendeten Ortsnamen 462
- 9.5 Italienische Festungsbaumeister des 16. Jahrhunderts (bis ca. 1580) und ihre Einsatzgebiete im habsburgisch-osmanischen Grenzbereich 466
- 9.6 Festungsbautraktate des 15. und 16. Jahrhunderts und ihre Autoren 479
- 9.7 Chronologisches Verzeichnis der im Buch häufig verwendeten Wien-Pläne und Wien-Ansichten (15.‒18. Jahrhundert) 483
- 10 Glossar 494
- 11 Verzeichnisse 499