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bung dieser Positionen bzw. eine detaillierte Darstellung seiner Professionen im
Literaturbetrieb der Nachkriegszeit. Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive
besitzt Kraus auch deswegen Relevanz, weil er – neben u. a. Rudolf Henz oder
Hans Weigel – einer der wichtigsten Literaturvermittler der Zweiten Republik
war, der sich in zentraler Position wesentlich an literaturbetrieblichen Prozessen
beteiligte. Kraus ist bisher nur marginales Forschungsinteresse zuteil geworden,
wodurch eine literaturgeschichtliche Lücke entstanden ist, die diese Studie zu
schließen bemüht ist. Kraus soll als ein Akteur des literarischen Lebens in Öster-
reich dargestellt werden, wobei literarisches Leben als „hochkomplexes, dyna-
misches Diskursgeflecht“11 verstanden wird, in dem die „kulturelle Bedeutung
von ‚Literatur‘ durch unzählige Handlungen und Kommunikationen immer
wieder aufs Neue ermittelt wird“.12
Die vorliegende Studie bedient sich des von Pierre Bourdieu erarbeiteten theo-
retischen Modells des literarischen Feldes, das der französische Soziologe und
Ethnologe in Die Regeln der Kunst (1992) entworfen hat. Mit der Feldtheorie
lassen sich Methoden der Literaturwissenschaft, Historiographie und Sozialwis-
senschaft kombinieren, wodurch es möglich wird, die Literatur als soziales Fak-
tum zu betrachten. Bourdieus Theorie hebt die gesellschaftliche und politische
Dimension der Literatur hervor, dabei weit über literaturwissenschaftlich-sozi-
algeschichtliche Modelle hinausgehend, und richtet sich gegen eine immanente
Betrachtung der Literatur, um eine Sensibilisierung der gesellschaftlichen und
historischen Dimension der kulturellen Produktion zu stimulieren.13 Die im Feld
operierenden Akteure, seien dies Verlage, Buchhandel, Literaturkritik, Biblio-
theken oder Institutionen der Literaturförderung, bilden nach Bourdieu ein
„Netz“, das er als „literarisches Feld“ bezeichnet, wobei jede dieser Institutionen
einem eigenen System von Werten und Normen folgt. Das literarische Feld steht
dabei, in Analogie zu anderen gesellschaftlichen Feldern, in einem „System von
Kraftlinien, Macht- und Einflussbeziehungen […], ähnlich einem Magnetfeld,
das mehr ist als die bloße Summe individueller Interaktionen der Beteiligten“.14
Zentral für die Studie ist zudem Bourdieus Begriff des „Kapitals“, denn dieser
rückt Mechanismen und Strategien der literarischen Produktion in den Fokus,
11 Stephan Porombka: Literarisches Leben. In: Dieter Burdorf, Günther Schweikle (Hg.): Metzler
Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. 3., völlig neu bearb. Aufl. Stuttgart: Metzler 2007,
S. 442.
12 Ebd.
13 Vgl. Joseph Jurt: Das literarische Feld. Das Konzept Pierre Bourdieus in Theorie und Praxis.
Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1995, S. 71–109.
14 Markus Joch, Norbert Christian Wolf: Feldtheorie als Provokation der Literaturwissenschaft.
In: Dies. (Hg.): Text und Feld. Bourdieu in der literaturwissenschaftlichen Praxis. Tübingen:
Niemeyer 2005, S. 1–24, hier S. 2.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
12 Einleitung
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437