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Wolfgang Kraus wurde am 13. Jänner 1924 in Wien geboren und gehörte zu
jener Generation, die den Übergang der Ersten Republik in den „Ständestaat“
und den „Anschluss“ Österreichs 1938 miterlebten. Er besuchte die Volksschu-
le „Katholischer Schulverein“ und das Gymnasium „Zu den Schotten“ im ersten
Wiener Gemeindebezirk, das 1938 aufgelöst wurde. Er trat daraufhin in die
Oberschule Wien im achten Wiener Gemeindebezirk ein und maturierte dort
am 23. März 1942. An seine Schulzeit erinnert sich Kraus in Fragmenten einer
Autobiographie, die sich im Nachlass erhalten haben: „Die Nazikrawalle an der
Universitätsrampe vor 1938, die Riege der Bettler mit ihren Kindern, der ‚Aus-
gesteuerten‘, die gar keine Unterstützung erhielten und auf die Klostersuppe
angewiesen waren, dieser Spalier entsetzlich konkreter Gespenster, die ich auf
dem Schulweg in den Durchgängen zum Schottenhof zu passieren hatte, sie ver-
folgen mich noch heute.“54 1942 wurde er zur Deutschen Wehrmacht einberu-
fen, jedoch bereits 1943 wegen eines „jugendlichen Herzdefekts“55 wieder ent-
lassen.
Im „Zeitalter der Extreme“ geboren, war sich Kraus sehr früh der Gefahren
der totalitären Regime des 20.
Jahrhunderts bewusst und skizziert kurz vor Ende
des Zweiten Weltkrieges eine sakrale Alternative, welcher er Zeit seines Lebens
folgen sollte:
Weder der Nationalsozialismus[,] noch der Kommunismus[,] sind[,] mit dem
Christentum verglichen, Weltanschauungen von Wert – ([a]ls solche, und nicht als
Staatsverfassungen, wollen sie gelten) – der Nationalsozialismus, als de[m] allge-
meinen Menschlichen rücksichtslos gegenüberstehend[,] nicht, der Kommunis-
mus, als ins Niedrige gewendeter Diebstahl aus der Ideologie des Christentums,
ebenfalls nicht. Gegenseitig wird jedoch das Schlechte erkannt und bekämpft. Das
heißt: wir befinden uns heute in der größten Phase des sich gegenseitig und sich
selbst zerstörenden Geistes, welches bedeutet, daß Platz geschaffen wird, für das
neue, emporwachsende Gefühl.56
Später inskribierte er Germanistik und Theaterwissenschaften an der Universi-
tät Wien. Mehr als dreißig Jahre später hält er über die Studienentscheidung fest:
„Es ist mir jetzt völlig klar, warum ich in der Nazizeit ganz in der Kunst und vor
allem im Theater gelebt und mich nachher der Realität zugewandt habe. In tota-
litären Systemen kann man nur in der Phantasiewelt kreativ sein.“57 Kraus schloss
das Studium im Juli 1947 mit einer theaterwissenschaftlichen Dissertation über
54 Ders.: Entwürfe zu einer Autobiographie, NL WK.
55 Ders.: Lebenslauf, NL WK.
56 Ders.: Tagebuch, 20. April 1945, NL WK.
57 Ders.: Tagebuch, 18. April 1976, NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
24 Einleitung
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437