Seite - 27 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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schen Wiederaufbau Österreichs. Er fungierte nicht nur als Präsident des
„Verbandes der demokratischen Schriftsteller und Journalisten Österreichs“
(VDSJÖ) und Vizepräsident des österreichischen P.E.N.-Clubs, sondern setzte
sich auch für die Entnazifizierung im Kulturleben ein. Rollett, der vor 1938 als
Kulturjournalist tätig war und wegen seiner demokratischen und antinational-
sozialistischen Haltung im Juni 1938 verhaftet und bis 1940 in den Konzentra-
tionslagern Dachau und Flossenbürg interniert war, war zwischen 1938 und 1945
mit Schreibverbot belegt worden und musste als Hilfsbuchhalter arbeiten.
Rollett, der in der Nachkriegszeit neben seiner Tätigkeit für die „Wiener Zei-
tung“ zwischen Jänner und Juli 1946 auch als Cheflektor für den damals noch
im britischen Exil verbliebenen Paul-Zsolnay-Verlag tätig war, protestierte 1948
gemeinsam mit über 70 weiteren Persönlichkeiten des kulturellen Lebens gegen
die Veröffentlichung des schwer NS-belasteten Germanisten Josef Nadler, was
eine Reihe von Prozessen nach sich zog.64 In seinen Tagebucheintragungen spricht
Kraus Rollett eine wichtige Rolle in seinem Leben zu.65
1957 legte Kraus einen weiteren Baustein für seine Laufbahn, als er die Kor-
rekturen des Romans Arabesken des Lebens (Zsolnay, 1947) des mit Rollett eng
befreundeten Schriftstellers Rudolf Jeremias Kreuz vornahm. Dessen Schwie-
gersohn Erich Bielka sollte Kraus in den 1970er Jahren die Möglichkeit bieten,
eine im österreichischen Außenministerium verankerte, jedoch ansonsten unab-
hängige „Kulturkontaktstelle“ aufzubauen.66
Das von Rollett ausgestellte Zeugnis spricht in lobenden Tönen von Kraus’
Tätigkeit. Sowohl als „Lektor des Verlages wie als mein unmittelbarer Mitarbei-
ter bei der Herausgabe der Serie ‚Ewiges Wort‘ Meisterwerke der Weltliteratur“
sei er „Dank seinem weitreichenden literarischen Wissen, seinem sicheren
Geschmack und seiner klaren Urteilsfähigkeit eine schätzbare und verlässliche
Kraft in der verlegerischen Tätigkeit“67 gewesen.
Kraus’ Anstellung endete mit Rolletts Abgang aus dem Verlag Ende März
1948. Mit 1. Februar 1949 arbeitete er im Paul-Zsolnay-Verlag, als es, – wie er
anlässlich des 70.
Geburtstages des Verlags reminiszierte –, „in Österreich noch
die durchaus realistische Hoffnung“ gegeben habe, dass „Wien die einstige Buch-
messestadt Leipzig beerben“68 würde.
Die „Buchstadt“ Leipzig war nach 1945 größtenteils zerstört und lag in der
von der Roten Armee besetzten Zone, wo die Kulturpolitik der Sowjets einen
64 Vgl. Karin-Heidi Hackenberg: Der Kritiker, Journalist und Schriftsteller Edwin Rollett. Ein
Beitrag zur Wiener Theaterkritik im 20. Jahrhundert. Univ.-Diss. Wien 1985, S. 8 ff.
65 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 14. April 1990, NL WK.
66 Vgl. ders.: Tagebuch, 17. August 1974, NL WK.
67 Edwin Rollett: Zeugnis für Dr. Wolfgang Kraus, NL WK.
68 Wolfgang Kraus: Der helle Horizont des Aufbruchs. In: Murray G. Hall (Hg.): 70 Jahre Paul
Zsolnay Verlag 1924–1994. Wien: Zsolnay 1994, S. 12 f.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Biographische Einführung 27
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437