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„antifaschistisch-demokratischen“ Aufbau der Kultur propagierte, der auch struk-
turelle Eingriffe in den Bereichen von „Presse, Verlagsleben, Kunst und Litera-
tur“69 mit sich brachte.
Die Stadt Wien war nach 1945 unter der Kontrolle des Alliierten Rates in
vier Besatzungszonen aufgeteilt, mit einer „Internationalen Zone“ im ersten
Bezirk. Jedoch kontrollierte in Österreich – Wagnleitner spricht von „Ansät-
ze[n] zur totalen Kontrolle des kulturellen Lebens“70 – während der ersten
Besatzungsphase die „Information Service Branch“ (ISB) der Amerikaner das
Filmwesen, Theateraufführungen, sowie Opern, Konzerte, Zeitungen, Zeit-
schriften und Bücher. Mit Beginn des Kalten Krieges ab 1947 wurden die
„äußerst ungeschickten, kulturellen Kontroll- und Zensurmaßnahmen“71 jedoch
liberaler.
Kraus betont in seinen Erinnerungen die „enorme Chance“ Österreichs im
deutschsprachigen Raum angesichts der Situation in Deutschland, das in wirt-
schaftlicher und politischer Hinsicht zerstört war. So erwarteten die (wenigen)
österreichischen Verlage, dass Wien sich zur großen deutschsprachige Buchstadt
entwickeln würde. Diese Erwartung erwies sich als Illusion, da dutzende Ver-
lage, von denen viele nach 1945 gegründet worden waren, bereits nach kurzer
Zeit wieder in Konkurs gingen, und nur wenige, darunter der Zsolnay-Verlag,
erlebten einen beträchtlichen Aufschwung. Kraus spricht in diesem Zusam-
menhang von einer unglaublichen Umsatzsteigerung von „450 Prozent“. Ein
Hauptgrund dafür war die enorme Bandbreite von älteren Rechten an Büchern,
die während des Dritten Reichs verboten waren bzw. nicht gedruckt werden
konnten.
Für Kraus selbst bedeutete die Arbeit im Zsolnay-Verlag das „Wiederfinden
einer Kontinuität, die nur sieben Jahre, aber radikal unterbrochen worden war“.72
Das Verlagsprogramm von Zsolnay, gegründet 1923, konzentrierte sich seit
Beginn auf das Verlegen von internationaler Belletristik.73 Mit der durch die
nationalsozialistische Machtergreifung einhergehenden „Arisierung“ der kultu-
rellen Institutionen sah sich Paul Zsolnay aufgrund seiner jüdischen Abstam-
mung dazu gezwungen, Werke von Autorinnen und Autoren, die mit dem Nati-
onalsozialismus sympathisierten, zu verlegen. Dennoch wurde der Verlag
69 Bodo Plachta: Zensur. Stuttgart: Reclam 2006 (= RUB 17660), S. 185.
70 Reinhold Wagnleitner: Coca-Colonisation und Kalter Krieg. Die Kulturmission der USA in
Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik 1991 (= Öster-
reichische Texte zur Gesellschaftskritik 52), S. 89.
71 Ebd.
72 Kraus: Der helle Horizont des Aufbruchs. In: Hall (Hg.): 70 Jahre Paul Zsolnay Verlag, S. 12.
73 Zum Zsolnay-Verlag vor 1938 vgl. Murray G. Hall: Österreichische Verlagsgeschichte. Bd. 2.
Belletristische Verlage der Ersten Republik. Wien, Köln, Graz: Böhlau 1985 (= Literatur und
Leben N. F. 28.1).
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
28 Einleitung
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437