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nister Leopold Gratz. Er „pilgerte auch unter den Nachfolgern [Fred] Sinowatz,
[Helmut] Zilk und [Herbert] Moritz nicht zu den Literaturabteilungsleitern, um
zu betteln“,111 sondern direkt zu den genannten, obwohl diese sich aus den Rei-
hen der SPÖ rekrutierten.
Ein besonderes Naheverhältnis bestand zwischen Kraus und dem ÖVP-Poli-
tiker Josef Klaus, der von 1964 bis 1970 als Bundeskanzler fungierte. Die Freund-
schaft mit Klaus, der „der modernen Kunst des Nihilismus und Scheiterns […]
die wahre Natur des Menschen“112 entgegenhielt, dokumentiert sich in zahlrei-
chen Korrespondenzen. Klaus bedankt sich etwa bei Kraus für seine „im besten
oesterreichischen Sinne geleistete[] kulturpolitische[] Arbeit und insbesondere
fuer die Hilfe, die Sie mir, [Alois] Mock und unseren Freunden stets haben
zukommen lassen“.113 Klaus, der oft die Veranstaltungen der ÖGL besuchte,
dankte Kraus auch dafür, dass er „sozusagen am Rande oder besser gesagt meist
parallel mit Ihnen oder in Ihrer Spur mit vielen Dichtern und Schriftstellern der
oesterreichischen Nachkriegszeit ein gutes persoenliches, oft sogar freundschaft-
liches Verhaeltnis aufbauen konnte“114 und nennt u. a. Felix Braun, Friedrich
Heer, Rudolf Henz, Heimito von Doderer, Max Mell, Franz Theodor Csokor,
Friedrich Torberg, Hilde Spiel, Manès Sperber, Gertrud Fussenegger, Hans Wei-
gel, Ernst Schönwiese und Paula Grogger.
Dieses Spektrum an Namen gibt einen ersten Einblick in die vereinenden und
wohl auch überbrückenden Fähigkeiten von Kraus, wie dies am 20.
Jänner 1969
im unter Klaus veranstalteten und von Kraus organisierten, „Fest der Harmo-
nie“, wie es Hans Haider polemisch bezeichnet hat, resultierte, da hier „NS-Ver-
folgte und Mitläufer“, Neoklassiker und „Sprachzertrümmerer“ mit politischen
Präferenzen zwischen christkonservativ und kommunistisch“115 ins Bundeskanz-
leramt eingeladen worden waren.
Kraus’ Netzwerke reichten über das literarische Feld Österreichs und die
Republik hinaus und umfassten Organisationen wie den „Kongress für kultu-
relle Freiheit“ in Paris, die Ford Foundation, aber auch Institutionen und Ein-
zelpersonen hinter dem „Eisernen Vorhang“, die er auf seinen Reisen kennen-
gelernt hatte (vgl. dazu Kapitel 6).
111 Haider: Neutrales Parkett und der Marshall Plan of the Mind.
112 Ernst Hanisch: Josef Klaus. In: Herbert Dachs, Peter Gerlich, Wolfgang C. Müller (Hg.): Die
Politiker. Karrieren und Wirken bedeutender Repräsentanten der Zweiten Republik. Wien:
Manz’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung 1995, S. 299–306, hier S. 301.
113 Josef Klaus an Wolfgang Kraus, 7. April 1986, NL WK.
114 Ebd.
115 Hans Haider: „Der Kartonismus“ 1965. Ende und Wende. Ein Streifzug durch die Literatur-
und Kulturpolitik der Zweiten Republik. In: Stefan Karner (Hg.): Österreich – 90 Jahre Repu-
blik. Beitragsband der Ausstellung im Parlament. Innsbruck, Wien, Bozen: Studien-Verlag
2008, S. 421–428, hier S. 427.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
38 Einleitung
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437