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frontiert, die sich in heftigem Widerstand gegen die modernen Kunst strömungen
äußerten.29 Die literarische Öffentlichkeit unterstand den kulturpolitischen Vor-
stellungen der großen Koalition und antimodernistischen Ressentiments.
Die österreichische Kulturpolitik konzentrierte sich auf die internationale
Ausstrahlung von traditionsreichen Institutionen wie den Wiener Philharmo-
nikern, den Sängerknaben, den Ensembles von Burgtheater und Staatsoper sowie
den Salzburger Festspielen. Die staatliche Kulturpolitik der ÖVP schloss an die
eigene konservativ-katholische Tradition an. Kunst und Kultur gerieten unter
den Einfluss zweier Strömungen, einerseits der Wiederkehr der traditionellen
politischen Struktur, der konservativ dominierten Regierungspolitik und der
Wiederbelebung des deutschnationalen Lagers und andererseits der bipolaren
Spannungen des Kalten Krieges, die das gesamte öffentliche Leben prägten. Der
langjährige ÖVP-Unterrichtsminister Heinrich Drimmel charakterisierte noch
1962 die Kultur der Repräsentanz: „Das materielle Leben des Staates verlangt
den repräsentativen Kulturalismus. Das Gepräge der Festwochen, die Marmor-
fassade der Kulturpaläste wirken in der politischen Willensbildung der Massen-
demokratie überzeugender als das drängende Verlangen [...] nach Beseitigung
[...] des Notstandes der wissenschaftlichen Forschung und der künstlerischen
Betätigung.“30
Während in Westdeutschland z. B. in den frühen 1950er Jahren eine Kontro-
verse zwischen den Autorinnen und Autoren der „Gruppe 47“ eine Politisierung
der Literatur mit sich brachte und konservative Kritik, die eine politikfreie Lite-
ratur wünschte, entfaltete,31 wurde eine solche Diskussion in Österreich nur in
Ansätzen geführt.32 In kulturellen Angelegenheiten war zudem mit dem Beginn
des Kalten Krieges ein „Vorhang aus Papier“ („paper curtain“) zwischen Öster-
reich und der Bundesrepublik Deutschland gefallen, der jeden bilateralen Aus-
tausch ökonomischer, rechtlicher und politischer Art behinderte und bis kurz
vor Ende der Besatzung 1955 in Kraft blieb.33 Eine „kulturfördernde“ Maßnah-
29 Vgl. Gert Kerschbaumer: Der kalte Krieg gegen die Moderne. In: Ders., Karl Müller (Hg.): Beg-
nadet für das Schöne. Der rot-weiß-rote Kulturkampf gegen die Moderne. Wien: Verlag der
Gesellschaftskritik 1992, S. 117–204.
30 Heinrich Drimmel: Österreichische Kulturpolitik seit dem Staatsvertrag. In: Österreich in
Geschichte und Literatur 6 (1962), H. 8, S. 343–351, hier S. 349.
31 Hans Dieter Zimmermann: Literaturbetrieb Ost – West. Die Spaltung der deutschen Literatur
von 1948 bis 1998. Stuttgart, Berlin, Köln: W. Kohlhammer 2000. S. 57 ff.
32 Vgl. Günther Stocker: Zweimal ‚junge Generation‘. Konstruktionen des literarischen Neuan-
fangs nach 1945 in West-Deutschland und Österreich. In: Joanna Drynda (Hg.): Zwischen
Aufbegehren und Anpassung. Poetische Figurationen von Generationen und Generationser-
fahrungen in der österreichischen Literatur. Frankfurt/M. [u. a.]: Peter Lang 2012 (= Posener
Beiträge zur Germanistik 32), S. 69–82.
33 Joseph McVeigh: Lifting the Paper Curtain. The Opening of Austrian Literary Culture to Ger-
many after 1945. In: German Studies Review 19 (1996), H. 3, S. 479–499, hier S. 481.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Entwicklung(en) des Literaturbetriebs nach 1945 51
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437