Seite - 73 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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Besatzung geführt wurde, bei denen auch junge Schriftstellerinnen und Schrift-
steller zu Wort kamen. Zentral ist die zwischen 1951 und 1956 erscheinende
Anthologie „Stimmen der Gegenwart“, die in den der SPÖ nahestehenden Ver-
lagen Jungbrunnen und Jugend & Volk gedruckt wurde und die wichtigsten
Stimmen der österreichischen Literatur, darunter Ingeborg Bachmann, Ilse
Aichinger, Andreas Okopenko, Milo Dor, Erich Fried, Jeannie Ebner und Ger-
hard Fritsch, versammelte. Auch wenn Weigel eine der zentralen Figuren des
literarischen Wiederaufbaus war, grenzte er dennoch vieles, auch Exilliteratur,
Arbeiterliteratur, den Surrealismus und die Avantgarde, aus, insofern ihm diese
politisch verdächtig war (vgl. dazu Kap. 3.2).
Hermann Schreiber nennt als Treffpunkte der literarischen Szene, noch bevor
das Café Raimund „mit Buddha Weigel oder gar das Hawelka diese Funktion
übernahmen“,111 den „Strohkoffer“, ein Kellerlokal wenige Meter von der Kärnt-
nerstraße und dem Neuem Markt im ersten Wiener Gemeindebezirk. Dort ver-
kehrten u. a. Hilde Spiel, Hermann Schreiber und Theodor Sapper.112 Im Stroh-
koffer eröffnete 1951 auch der Präsident der österreichischen Sektion des
Internationalen Art-Clubs, Albert Paris Gütersloh, dessen erste Vernissage.
Wieland Schmied erinnert sich, dass im Rahmen der im Strohkoffer stattfinden-
den Veranstaltungen des Art-Clubs Schriftstellerinnen und Schriftsteller, allen
voran H. C. Artmann, mit Lesungen hervortraten: „Der Art Club war für das
Wien der frühen fünfziger Jahre von größter Bedeutung. Er war nicht nur ein
Treffpunkt der Kunstszene (soweit es denn eine solche schon gab), er war auch
ein Umschlagplatz der Ideen. Im gleichen Maße, in dem sich die Menschen im
engen und rauchigen ‚Strohkoffer‘ drängten, drängten sich dort die Eindrücke
und Ideen.“113
Auch der kommunistische Kulturstadtrat Viktor Matejka bemühte sich um
die Literatur und setzte sich dafür ein, die exilierten Autorinnen und Autoren
nach Österreich zurückzuholen. Matejka war eine „Schlüsselfigur der sich neu
formierenden österreichischen bzw. Wiener Kulturpolitik 1945–49 und Sprach-
rohr einer Reintegration des kulturell-künstlerischen Potenzials des österreichi-
schen Exils“.114
111 Hermann Schreiber: Ein kühler Morgen. Erinnerungen. München, Wien: Drei Ulmen Verlag
1995, S. 99.
112 Strigl: Kaffeehaus und literarische Geselligkeit im Nachkriegs-Wien. In: ‚Displaced‘, S. 94.
113 Wieland Schmied: Lust am Widerspruch. Biographisches. Stuttgart: Radius 2008, S. 66.
114 Primus-Heinz Kucher: Zur Vielfalt und Spezifik Erster Briefe des österreichischen Exils. Kon-
taktaufnahme von Exilanten (Angel, Bernfeld, Engel, Kramer, Polak, Zur Mühlen) zu literari-
schen Netzwerkern und Freunden (Basil, Dubrovic, Fontana, Matejka). In: Ders., Johannes F.
Evelein, Helga Schreckenberger (Hg.): Erste Briefe/First Letters aus dem Exil 1945–1950. (Un)
mögliche Gespräche. Fallbeispiele des literarischen und künstlerischen Exils. München: Edi-
tion Text+Kritik 2011, S. 32–62, hier S. 35.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Entwicklung(en) des Literaturbetriebs nach 1945 73
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437