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persönlich sehr zugetan. In einem Nachruf hält Kraus fest, dass dessen starkes
Interesse an Ost-Mitteleuropa nach dem Fall der Mauer 1989 und der darauf-
folgende Wandlungsprozess „der einst kommunistischen Staaten zu Demokra-
tien […] die schon nicht mehr erwartete Erfüllung seiner Voraussage“ seien und
seine „einstigen Konzepte“ geradezu bestätigen würden.16
Gegründet wurde die ÖGL als Verein, die vereinspolizeilichen Unterlagen
datieren vom 30.
November 1961. Als Proponent wurde Dr.
Heribert Umfahrer,
der für die Zweigstelle des Verlages S. Fischer in Wien tätig war, genannt. Der
Vereinszweck akzentuierte die Aufgabe, die österreichische Literatur zu fördern,
die unpolitische Haltung des Vereins wurde betont. Zudem nannte der Antrag
unter Punkt fünf die Zusammenarbeit mit österreichischen Kulturinstituten und
österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland zur Förderung der österrei-
chischen Literatur.17 Marianne Gruber hat in diesem Zusammenhang festge-
halten, dass die ÖGL „aus einer sehr privaten Initiative hervorgegangen“ sei und
am „‚Brainstorming‘“ etwa der Schriftsteller Franz Hiesel beteiligt gewesen sei,
der später im ORF für die Hörspielproduktion verantwortlich gewesen sei.18
Anlässlich des 20-jährigen Bestehens der ÖGL erinnert sich Kraus, dass „die
Zeit für unser Wirken damals günstig“ gewesen sei, es jedoch nicht leicht gewe-
sen sei, „dieses Wirken überhaupt zu beginnen“. Er spricht von einer „plötzli-
che[n] Koinzidenz“, wodurch er im Unterrichtsministerium „Interesse und ein
wenig Geld mobilisieren“ habe können, und nur durch Zufall habe er die Räume
im Palais Wilczek gefunden, die, wie er betont, allerdings vor der Renovierung
„in ruinösem Zustand“ gewesen seien, und „mit einer äußerst geringen Subven-
tion fingen wir unser Programm an“.19 Kraus selbst hat in einem literaturge-
schichtlichen Essay auf den persönlichen Impetus seiner Initiative hingewiesen,
denn in der, wie er es formuliert, „keineswegs günstigen Situation“ für die Lite-
ratur
erschien es mir dringend notwendig, den Schritt zu einer neuen Möglichkeit zu
versuchen. Eineinhalb Jahrzehnte nach dem Beginn von 1945 war die erste Phase
der chaotischen, euphorischen und ebenso krisenhaften Anfänge vorbei, und die
16 Wolfgang Kraus: Dank an Alfred Weikert. Zum Tod eines fast vergessenen Erneuerers öster-
reichischen Geistes. In: Die Furche, 26. April 1990, S. 9.
17 Schreiben der Sicherheitsdirektion Wien an die Bundespolizeidirektion Wien, 30. November
1961 Zit. n. Martina Schmidt: Die Geschichte der Österreichischen Gesellschaft für Literatur.
Dokumentationsband. Wien: Hausarbeit der ÖAW 1994, S. 57–66, hier S. 59.
18 Marianne Gruber: Die Österreichische Gesellschaft für Literatur und die Exilliteratur. In: Evelyn
Adunka, Peter Roessler (Hg.): Rezeption des Exils. Geschichten und Perspektiven der öster-
reichischen Exilforschung. Wien: Mandelbaum 2003, S. 81–85, hier S. 84.
19 Wolfgang Kraus: Aus der Rede zum zwanzigjährigen Bestehen der „Österreichische Gesell-
schaft für Literatur“, 10. Dezember 1981, NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 85
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437