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Ob Kraus selbst für diesen Akt der Zensur verantwortlich war oder kultur-
politischen Weisungen der „Machthaber“ folgen musste, ist anhand des vorhan-
denen Archivmaterials nicht eindeutig festzustellen. Aber hinsichtlich des kul-
turpolitischen Konsens, rannte man damit beim konservativen
Otto-Müller-Verlag ohnehin offene Türen ein, wie sich einem Brief des Verlags-
leiters Richard Moissl entnehmen lässt: „Ich werde mich sehr dafür einsetzen,
wenn Beiträge in anderer Hinsicht ‚bedenklich‘ sind (wie seinerzeit im ersten
Heft der von Fischer), aber Qualität aufweisen. Aber ich erkläre ganz frank und
frei, klipp und klar: ich habe nicht den geringsten Ehrgeiz, angesichts mancher
‚heutiger Tendenzen‘, sei es nun österreichischer oder bundesdeutscher Litera-
tur, zu den Avantgardisten zu zählen. Diese ‚Avantgarde‘ ist ja längst eine ‚Der-
rièregarde‘.“268
Nach den ersten zehn Heften der neuen Zeitschrift war Otto Breicha der Mei-
nung, dass, obwohl in Österreich „für Literatur kein rechter Boden“ sei, man
sich „den Luxus einer Literaturzeitschrift“ leiste und bezeichnete diesen „Luxus“
als „Notwendigkeit“, da man dies „nicht gut anderen überlassen“ könne, „ohne
sich später ärgern zu müssen.“269
So dokumentierte „Literatur und Kritik“ die verschiedenen Strömungen öster-
reichischer Literatur und kulturpolitisch segelte man unter derselben Flagge wie
schon „Wort in der Zeit“.
1978 übernahm Kurt Klinger, der als Kraus’ Stellvertreter in der ÖGL fun-
gierte, die Redaktionstätigkeit, wodurch die Zeitschrift „vollends zum Haus- und
Hofmagazin“270 der ÖGL wurde. Klinger führte gegenüber Moissl aus, dass über
„das Gesicht der Zeitschrift und über den offenen Horizont, der sie auszeichnet
und weiterhin auszeichnen soll“, Einigkeit herrsche zumal auch „Herr Dr.
Kraus
[…] die Entwicklung kennt und begrüßt.“271 Die ohnehin schon enge Bindung
der Zeitschrift an die ÖGL führte allerdings zu einem „Verlust an Bewegungs-
freiheit“, der „Anteil an Sekundärliteratur stieg in dem Maße, in dem der Platz
für Texte von Nachwuchsautoren abnahm“.272
268 Richard Moissl (Otto-Müller-Verlag) an Paul Kruntorad, 29.
November 1966, NL RH, Karton
19/V.
269 Otto Breicha: Oesterreich – ohne Gamsbart. Zum Jubiläum der Literaturzeitschrift „Literatur
und Kritik“. In: Kurier, 3. Februar 1967, S. 13.
270 Langer: 30 Jahre „Literatur und Kritik“, S. 16.
271 Kurt Klinger an Richard Moissl, 24.
September 1978, Österreichische Nationalbibliothek, Lite-
raturarchiv, ÖLA 302/06, Nachlass Kurt Klinger.
272 Holl: Salzburg. Zwischen Globalisierung und Goldhaube, S. 706.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
154 Die Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Titel
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Autor
- Stefan Maurer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Abmessungen
- 15.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 452
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437